europäischen Türmen
durchführte. Flankiert von Kristallstrukturen sind vier
ca. 160 cm messende Modelle auszumachen, von denen zwei
je eine Pagode und die beiden anderen je einen Kirchturm
darstellen. Die Pagoden sind Nachbildungen der Pagode
der Sechs Harmonien in Hangzhou / China und des To-ji
in Kioto / Japan. Die Kirchtürme sind dem der
Pfarrkirche auf der Insel Murano1,
in der Lagune von Venedig und dem der genannten Kathe-
drale St. Michael und Gudula in Brüssel nachgebildet.
Wie er es auch in seiner Diplomarbeit an der HfBK
Hamburg2
ausführte, interessieren ihn bei der
Betrachtung solcher Gebäude, wie Menschen ihre
Angst vor dem Sterben und ihre Machtlosigkeit
angesichts der alltäglichen Probleme
kulturenübergreifend kompensieren. Murano nennt
gute Gründe dafür, dass Menschen sich etwas sie
Überragendes schaffen, um ihre Winzigkeit zu
vergrößern. Dabei tun sie sich zusammen und
nehmen Entbehrungen und Anstrengungen auf sich.
Die kulturgeschichtlichen Implikationen, die für
Muranos Arbeiten charakteristisch sind, reichen
außerdem in Dimensionen hinein, die über
historische Zeithorizonte hinaus- gehen und es
somit ermöglichen, menschliches Handeln aus
größerer Distanz zu betrachten.
Drei Ebenen der Zeit lassen sich unterscheiden: eine bildnerische (a), eine kulturhistorische (b) und eine geologische (c): a) Die
Annäherung über das Zeichnen führt zu einem
visuellen Abtasten von einem Objekt und erstreckt
sich über eine längere Zeitspanne, etwa in der
Größenordnung von Stunden. Der
manuelle Niederschlag des Beobachteten geht über
die instantane maschinelle bildmäßige Erfassung
hinaus. Dabei wird im Gegensatz zur
Auseinandersetzung mittels Fotografie ein Objekt
vor Ort, falls notwendig auch aus der Bewegung
heraus, unmittelbar plastisch erfasst und zu
Papier gebracht. Hierbei wird nicht die in die
Maschine ausgelagerte Intelligenz beansprucht,
sondern die individuelle Kompetenz unmittelbar in
Aktion versetzt. Auf der Grundlage dieser
Vorarbeiten entstehen die plastischen Arbeiten aus
Styropor und Gips.
b) Die verlängerte Auseinandersetzung mit einem historischen Objekt wirft auch die Frage nach der Bauzeit von Türmen auf. Darin ist die Frage nach kultureller Dauer enthalten; denn wenn man davon ausgeht, dass große Bauvorhaben der Vergangenheit häufig mehrere Generationen beanspruchten, so muss sich zeigen, woher eine Gesellschaft die Kraft zu dieser Kontinuität nimmt. Unter Umständen muss ein Bauvorhaben nach einer Unterbrechung auch wieder aufgenommen werden, wenn etwa die Mittel ausgingen und die Arbeiten wegen Kriegen, Seuchen und Missernten zum Erliegen kamen. Ein solcher Akt generationenübergreifender Tätigkeiten bezeugt nicht nur die Beharrlichkeit einer Gemeinschaft, sondern die |
Vollendung
eines großen, oft sakralem Bauvorhabens manifestiert
auch das Hineinwirken eines Gemeinwesens in
kulturhistorische Zeitdimensionen. Dadurch wird die
eigene Existenz mit der Ewigkeit verknüpft. Gerade
weil sich nicht jeder Beteiligte individuell
unsterblich macht, können sich alle in ein
Verhältnis zur Unendlichkeit stellen.
1. Menschliche
Zeitexpertise in der Krisec)Jenseits religiöser Ansprüche und Heilserwartungen werden in der Installation die Modelle der vier Türme mit Kristallen in Verbindung gebracht, durch die das menschliche Wirken zeitlich in die Geologie und somit in die Erdgeschichte eingebettet wird. Kristalle wachsen außerordentlich langsam und manifestieren die geologischen Gestaltungskräfte. Sie konfrontieren das menschliche Schaffen mit der transhistorischen Dimension der Zeit. Heute verwalten Wissenschaftler Zeitdimensionen von Nanosekunden bei atomaren Zerfallsprozessen bis zu kosmischen Zeiten, die mittels physikalischer Instrumente und Großrechner präzisiert werden; doch stellt sich die Frage, ob wir als Spezies angesichts der weiterhin beschränkten Reichweite unserer Sinne und der Fesselung an eine profane Alltäglichkeit nicht hoffnungslos überfordert sind. Wenn wir uns eine Vorstellung von den Dimensionssprüngen machen sollen, die zwischen den Vorgängen im Subatomaren und Kosmischen liegen, so reichen auch tiefgreifende Phantasien und ausgefeilte Metaphern nicht annähernd aus. Im Gegenteil: die Zeitvorstellungen des Alltags wirken im Vergleich mit den wissenschaftlich ermittelten Zeitdimensionen stärker zurückgeblieben denn je.3 Die Begrenztheit der aktuellen Reichweite menschlichen Handelns lässt sich an den Vorgaben vieler Gemeinwesen beurteilen. Im Vergleich mit dem Zugang, den sich verschiedene wissenschaftliche Disziplinen erarbeitet haben, verengt sich der Zeithorizont in der Alltagspraxis in einem geradezu grotesken Verhältnis. Die Verpflichtungen, die unser Handeln mit Vergangenheit und Zukunft verknüpfen, werden zunehmend unkonkret und abstrakt. In besonders krasser Weise sind wir der Hunderttausende von Jahren währenden Verantwortung für die Folgen unserer Giftproduktion nicht gewachsen. Besonders Konzernbosse und Politiker verschieben die Aufgabe der Lagerung von Atommüll um ihre Ratlosigkeit nicht zu bekennen. Man hält Salzbergwerke - trotz Wassereinbrüchen schon nach ein paar Jahren - |
Die 04. Ausstellung im
Jahresprojekt HYBRID
des EINSTELLUNGSRAUM
e.V.
|
|
1 Natürlich hat ihn
dabei auch das Homonym seines Namens interessiert. 2 Diplomarbeit an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg 2009. Hierin finden sich auch Episoden, in denen Murano eine trotz Globalisierung weiterhin vorhandene Befremdung über manche in seinem Gastland übliche Verhaltensweisen thematisiert. |
3 Günther Anders hat
dieses Unvermögen als eine Beschämung des Menschen
charakterisiert. Hinter dem Umschlagen der Furcht
vor Technik in ihre Verherrlichung sah er eine durch
die "prometheische Scham" hervorgerufene Äußerung
der Unsicherheit. Die Antiquiertheit des Menschen, 2 Bände, München 1956. |
more pictures
Vernissage |
|
Gefördert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg | |
back |
next |