Hybride Verschaltungen
Johannes Lothar Schröder über Katsuya Murano


I. Zeichnen und Fotografieren als Aneignung

Katsuya Murano ist in der Welt herumgekommen und in seinen Arbeiten konstituieren sich Verhältnisse zwischen ihm, den Dingen und den Menschen. Seine Äußerungen, Zeichnungen und Installationen lassen das Publikum an diesen Prozessen teilhaben, weshalb auch diese Ausstellung im EINSTELLUNGSRAUM in verschiedene Kulturen und Zeiten führt.

Während des Aufbaus dieser Ausstellung saß ich eines Nachmittags einem kundigen Gesprächspartner gegenüber, der von seinen Reisen etwas mitgenommen und nicht bloß reproduziert hatte, was man ohnehin schon in Reiseprospekten sehen und lesen kann. Das sage ich, obwohl er, wie die Einladungskarte zeigt, das Westwerk einer Kathedrale im Aufriss wiedergegeben hat. Aber ehrlich, wer kennt die Kathedrale der Heiligen Michael und Gudula in Brüssel? Was auf den ersten Blick als ein konventionelles Bild erscheint, sieht man heute eher selten; zumindest dann, wenn, wie Murano sagt, diese Zeichnung eines Baudenkmals mit Kugelschreiber eigenhändig angefertigt wurde. Nach einer ersten Skizze vor Ort, hat er sie im Studio noch einmal ins Reine gezeichnet. Dabei behält er das Kugelschreiberblau bei, das hierzulande sowohl für eine schnelle Skizze oder Notiz steht, aber auch Blaupause bedeuten kann

Zeichnen ist heute eine wenig ausgeübte, vermeintlich langsamere Art und Weise, sich ein Bauwerk anzueignen. Allerdings steht zu bezweifeln, ob ein Verfahren, das einem ein Bauwerk durch Auge und Hand wirksam einzuprägen ermöglicht, veralten kann, auch wenn es längst fotografische Möglichkeiten der instantanen Aufnahme und Vermessung von Gebäuden gibt. Statt einen Haufen Fotos auszuwerten, hat Murano sich dieses Gebäude sowie seine architektonischen Sachverhalte vor Ort manuell und intellektuell systematisch erschlossen, was zugleich bedeutet, dass man sich die Proportionen erarbeiten und die 
Anordnung der Fenster, Gesimse, Türen und Konsolen einprägt. Schließlich kann man dabei ihre Funktionen und Begriffe kennen lernen. Eine derartige Herangehensweise wendet sich zugleich auch gegen ein Clichée, das unter Europäern verbreitet war, die sich über reisende Japaner mit Video- und Fotoausrüstungen lustig machten, ehe sich dieses touristische Verhalten durch die massenhafte Verbreitung digitaler Geräte allgemein durchgesetzt hat und oft darin gipfelt, auf Schritt und Tritt zu filmen und zu fotografieren. Immerhin ist jede derartige Annäherung ein Versuch, sich etwas Unbekanntes von Außen anzueignen, um es kennen und verstehen zu lernen. Meist ist es auch eine Frage der verfügbaren Zeit, die darüber mitentscheidet, welche Ausrüstung man wählt, um sich das Andere anzueignen. Wie könnte man als Reisender sonst einen flüchtigen Eindruck vertiefen; denn selbst der längste Urlaub und sogar Forschungsaufenthalt geht irgendwann einmal zu Ende

In dieser Zeichnung sehen wir auf jeden Fall ein Ergebnis dessen, was uns meist vorenthalten bleibt, wenn wir zeichnende oder fotografierende Reisende beobachten. Uns entgehen doch fast immer die Ergebnisse, die mit verschiedenen Hilfsmitteln festgehalten werden. Wir werden sie wohl nur in Ausnahmefällen zu Gesicht bekommen und nehmen aber trotzdem von vornherein an, dass alles stereotyp wäre. Die jeweiligen Verschaltungen zwischen Bildern von Reisenden und ihren individuellen Ambitionen öffnen sich außerhalb der gewöhnlichen Reiseliteratur nur selten unseren Blicken, so dass es ein besonderes Erlebnis ist, hier die Kondensate der Auslandsaufenthalte und Reisen eines jungen japanischen Künstlers sehen zu können, der in Mexiko geboren wurde, in Japan aufgewachsen ist und in Hamburg Kunst studiert hat. Meist ist es auch eine Frage der Zeitumstaende, mit welcher Ausruestung man sich das Andere aneignet. Er hat seine interkulturellen Erfahrungen in eine künstlerische Form gebracht, die Reiseliteratur kaum in Erwägung zieht und der sich, wenn überhaupt, nur wissenschaftliche Literatur und interkulturelle Forschung stellt.

II. Die Reichweite menschlichen Handelns
In der von der Decke hängenden Installation sehen wir die plastische Zusammenfassung der Studien, die Murano an asiatischen und
Die 04. Ausstellung im Jahresprojekt HYBRID des EINSTELLUNGSRAUM e.V.

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Gefördert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg 
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