Es ist
gefährlich, eine nicht in Deutschland geborene
Künstlerin zu sehr auf ihren zusätzlich verfügbaren
Kulturkreis festlegen zu wollen. Aber wer in mehreren
Kulturen und Sprachen zuhause ist, sieht hinter der
jeweilig üblichen Form der Realität, zwischen den
Bildern und Worten Differenzen, er bemerkt kleine
Spalten in eine andere Ebene, fühlt Löcher in eine
andere Deutung, nutzt Brüche in eine andere
Sinnschicht. Wie aber ist eine solche alternative
Sichtweise darstellbar?
Es beginnt schon einmal mit den erwähnten Löchern. Dann wird sicher die jeweils gewählte Sprache ein Feld der Differenzierungen oder sie entzieht sich in die assoziationsoffeneren Formen der Poesie: Die in Teheran geborene Farideh Jamshidi schreibt auch Gedichte und hat diese Ausstellung BLUME NACHTIGALL betitelt. Wäre das konkrete Poesie in der Art Eugen Gomringers – viel weniger geht nicht, um sich eine warme Nacht im blühenden Paradies der orientalischen Lyrik vorzustellen. Oder aber es handelt sich um Symbolbegriffe, die die Schönheit der Erde mit dem Gesang der Sphären selbst verbinden. Das klingt nun vielleicht etwas überinterpretiert. Aber in einer übervollen Welt können reduzierte Auslöser durchaus Großes anstoßen. Eine deutlich orientalische Anmutung haben Farideh Jamshidis Fotomalereien mit ihrem ornamentalen Rapport. Das dogmatisch nicht zwingende, aber doch weitgehend befolgte Verbot figürlicher Bilder in der islamischen Welt hat dort zu einer hochentwickelten Kultur des Ornaments geführt: Paläste und Moscheen, aber auch manche Wohnhäuser oder Bäder sind meist mit mathematisch komplexen Lineamenten überzogen. Solche Oberfläche ist aber nicht ohne gedankliche Tiefe: Die Einzelform geht in der Gemeinschaft auf und jeder Weg, sei er noch so kompliziert, führt zum Ruhme Gottes – oder weltlicher – der Schöpfung. Die kunsthistorischen Stichworte dazu sind Maureske oder Arabeske, jene Muster mit ihren unendlichen Wiederholungen und Abwandlungen – und auch – das ist keineswegs abwertend gemeint – die Teppichmuster. Wir sehen bei Farideh Jamshidi den Rapport, wir sehen die Schichtungen noch vor der möglichen Bedeutung. Und zur Ehrenrettung des immer auch mal wieder verteufelten, in der Menschheitsgeschichte aber meist geschätzten Ornaments ist zu konstatieren, dass es in seiner Vielheit, vielleicht neben Kreis und Kreuz, eine der wenigen Möglichkeiten ist, in der Endlichkeit Unendliches darzustellen. Und es ist geradezu die Apotheose des Regelhaften. |
Farideh
Jamshidis Ornamente enthalten nicht nur die potentiell
unendliche Spiegelung von Linien, sie enthalten auch
konkrete Abbilder, vor allem von rohem Fleisch. Das ist
im Sinne der einen Kultur ein Sakrileg, im Sinne der
anderen, eine Erweiterung. Man muss es nicht wissen,
aber die Ausgangsbilder für die Großmontagen sind
Aufnahmen der Inszenierung des eigenen Körpers, wenn
auch nicht des eigenen Fleisches. Mit solchen
individuellen Elementen angefüttert, wird die
Abstraktion unendlicher Verschlungenheit auf die
individuelle, ganz grundlegende Realität geerdet. Doch
es geht nicht nur um ein in Inhalt und Form
individuelles Muster. Farideh Jamshidi bezieht diese
persönliche Erweiterung wieder auf das Allgemeine. In gewissem Sinne erdet Farideh Jamshidi das Ornament: Mit den zahlreichen Schnitten wird die erste Bildebene durchdrungen und auf den allgemeinen (Hinter-)Grund zurückgebunden. Alles nur als Bildoberfläche zu sehen, verhindern auch die die Materialität betonenden, die Schichten durchdringenden Löcher: Assoziationen wie Durchlässigkeit und Tiefe sind dabei zulässig und immer auch metaphorisch zu verstehen. Die mit Kamera und Messer erzeugten Muster wirken repetitiv, sie sind im Detail aber immer ein wenig anders – so wie ein Rhythmus gleich bleibt, die Musik sich aber ändert. Im Sinne des Jahresmottos pflanzen diese Muster der Regel sozusagen die Regelabweichung ein. Bei der neuesten, „Feier“ betitelten Spiegelarbeit gibt es verbindende Bögen, teils nach außen teils nach innen gebogen, freigelegte Durchblicke und wieder viele teils verbundene Löcher. Die auch in den historischen Ornamenten oft anzutreffenden Durchbruchformen sind in diesem Fall vielleicht auch ein Hinweis auf eine stets „löchrige“ Wahrnehmung. Aber nicht als Mangel, eher wie ein frei überwindender Tanz. Darüber hinaus können einige der freien Schnittformen in ihrer ähnlichen Andersartigkeit auch als Kalligraphie-Elemente verstanden werden. Das öffnet wiederum ein weites Feld mit den im „lateinischen“ Westen und den im gesamten, der Kalligraphie höchsten Stellenwert beimessenden Osten sehr verschiedenen Auffassungen zum Verhältnis zwischen der Mitteilungsfunktion und dem Material- und Form-Charakter von Schrift. Selbst wenn diese Zeichen-Assoziationen bei Farideh Jamshidi auch für diejenigen nicht lesbar sind, die die Schrift des persischen Farsi beherrschen, sind sie doch ein Verweis auf den Sprachcharakter |
Die 02. Ausstellung zum
Jahresprogramm Regeln
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