Klassische Tempel, gotische Dome, barocke Schlösser, englische Landschaftsgärten, Bauhaus-Moderne und was der Beispiele mehr wären, sind alle mal aus Regelbrüchen entstanden, haben sich zu einem klassischen Kanon entwickelt und wurden durch Veränderungen der Regeln zu Neuem umgeformt. Das gilt nicht nur in der Dingwelt, das gilt ebenso in der immateriellen Kultur, in der Sprache und im Recht.

Zurück zur Kunst. In einem System von Schule und Lehre, einem vorrangig auf Lernen durch Kopieren aufgebauten System – und das war die Kunst jahrhundertlang und ist es in Asien teilweise noch heute – dürfte es eigentlich gar keine Regeländerungen geben. Und doch verändern Abweichungen und Neusetzungen ständig das System.

Du musst können, was Dein Meister macht, aber willst Du mehr als ein Schüler sein, darfst Du nicht machen, was Dein Meister macht. Siehe Jonathan Meese, der so gar nichts von einem Walther-Schüler hat. Oder Farideh Jamshidi hier, die ebenfalls bei Franz-Erhard Walther ihren Abschluss gemacht hat.

Übrigens: Mit der persischen Kunst hat sie sich dann erst später befasst. Das sei ausdrücklich betont, weil bei den hier durchaus vorhandenen Anklängen an orientalische Formverständnisse (und bei ihrem Namen) vielleicht genau der umgekehrte Weg vermutet wird, dass also die Kultur des ursprünglichen Herkunftslandes praktisch unwiderruflich prägend wäre.

Farideh Jamshidi: Blume / Nachtigall

Wer durch die Schulung von Franz Erhard Walther gegangen ist, der weiß, dass Kunst kein fertiges, marktgängiges Produkt ist, sondern ein abgelegtes Werkzeug, das es zu benutzen gilt. Diese Durchlässigkeit des Hergestellten für die faktische und mentale Mitarbeit der Kunstbenutzerinnen hat etwas Fluides – auch wenn es nicht der ausdrücklich Fluxus genannten Kunst zuzurechnen ist.
 
Diesem Unergründlichen, diesem vibrierend Austauschenden, diesem über das Kunstobjekt Hinausgehendem zollt Farideh Jamshidi mit einem häufig verwendeten, eigentlich sehr einfachen Mittel Tribut: mit Löchern. Mit Lochungen, die die Schichtungen der Collagen vertiefen. Das ist auch schon auf der aktuellen Einladungskarte angedeutet und geplant, wurde aber anders als beim letzten Katalog, nicht ausgeführt. Und Lochungen kommen überall auf den Ornamentserien vor und ganz programmatisch als Verbindung der verschieden Sphären bei ihrem Tempelmodell, das zuletzt in der Ausstellung zu sehen war, die Farideh Jamshidi das Hamburg-Stipendium einbrachte.

Selbst wenn man Lochungen nicht als Mäusegänge der Spiritualität und Lichtstrahlen nicht als Modelle der Erkenntnis bewerten möchte, es sind es vor dem, was da geschichtet ist, immerhin materialmäßige Hinweise, das da entgegen dem schnellen Eindruck der ornamentalen Oberfläche etwas mehrschichtig ist. In den neuesten Arbeiten von Farideh Jamshidi ist wiederum Reflexion in durchaus bekannte Materialität eingearbeitet: Es kommen Spiegelfolien zum Einsatz, eine ganz direkte Methode, die Betrachterinnen ins Bild zu setzen.


Die verschiedenen Ebenen von Bild und Bildträger und Wand, von Betrachterinnen und Bildobjekt, von Realität und Wahrnehmung und Mustererkennung, sind ein durchgängiges Charakteristikum der Arbeiten von Farideh Jamshidi – auch bei ihren hier nicht gezeigten, realräumlich nicht rückübersetzbaren, anscheinend mehrdimensionalen Großphotos und den ins Ornamentale gespiegelten Real-Film-Manipulationen – ein Beispiel davon hier im Keller.
Die 02. Ausstellung zum Jahresprogramm Regeln regeln. Regeln regeln! 2019 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernissage
back next
Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek