Farideh Jamshidi: „Blume - Nachtigall“ Text zur Ausstellung im EINSTELLUNGSRAUM von Hajo Schiff: Zuerst sei
vor dem Lob der Künstlerin einiges zum Reihentitel
„Regeln“ gesagt – vielleicht etwas feuilletonistischer
als der philosophische Text bei der Eröffnung der
letzten Ausstellung von Jutta Konjer.
Regel: In diesem Ausstellungsprojekt hier wird stets der Straßenverkehr als Referenz genutzt: Im Straßenverkehr wird jeder Regelbruch bestraft (außer bei Radfahrern). Wer Links fährt ist ein Geisterfahrer, es sei denn, die Regel ist eben gerade Linksverkehr. Der Regelbruch ist aber nicht nur bei Radfahrern die Regel, er ist es in rasender Geschwindigkeit in der Mode und auch grundsätzlich in der Kunst. Sehr schön auf den Punkt gebracht hat das Peter Niemann. Sein Autoaufkleber „Wenn ich hier parke ist das Kunst!“ spielt mit der Annahme, dass die Freiheit der Kunst über lästige Verordnungen erhaben sei, bzw. allgemeiner, dass Grundrechte über den Alltagsregeln stehen. Leider funktioniert das nicht. Aber feiert die Kunst nicht doch immer die Grenzüberschreitung? Waren Caravaggio oder Cellini nicht gar Mörder, verstieß nicht viele große Kunst immer wieder gegen Normen, bis hin zu den heute nicht mehr geduldeten sexuellen Freiheiten der Boheme um 1900 und der Expressionisten? Zumindest seit dem Ende der akademischen Kunst ist die Abweichung die neue Regel. Alle Avantgarden leben davon, etwas anders zu machen, als es die Regel sein sollte. Solch eine institutionalisierte Nicht-Regel wiederum zu brechen, wird irgendwann sehr schwer. Der ultimative Regelbruch in der Kunst ist dann als eine Option die Rückkehr zu klassischen Regeln, beispielsweise der akademischen Malerei und Architektur – man nannte das mal Postmoderne. Aber der Regelbruch ist ja schon viel älter. Er ist selbst die Regel seit Eva im Paradies den Apfel nahm. Und das wird auch mit dem Chaos Computer Club nicht aufhören. |
Seien
es die mosaischen Gebote oder die Tafeln von Hammurabi –
immer schon gab es Gesetze, weltliche und geistliche
Regeln, die kodifiziert wurden. Insbesondere Mönchsorden
versuchten allem gerecht zu werden: Den impliziten
Regeln der Religion (also im Abendland der Bibel) und
den daraus abgeleiteten Pflichten und Verzichten der
jeweiligen Hausregeln. Als sich Ende des 11. Jahrhunderts eine Abordnung von Mönchen des Heiligen Berges Athos bei Alexios I. Kommenios, dem Kaiser von Byzanz beschwerte, dass dort in den Klöstern mit Knaben, Frauen, Tieren sowie mit persönlichem Besitz, Handel und Reisen massiv gegen die Regeln verstoßen werde, antwortete der Kaiser, ihre Reise nach Konstantinopel, ihr Auftreten bei Hofe und ihre Ungehorsamkeit gegenüber ihren geistigen und weltlichen Vorgesetzten sei ein mindestens genauso schwerer Regelbruch, bestrafte sie und schickte sie zurück: formale und gelebte Regeln können eben differieren – man muss wissen, auf welcher Ebene man sich befindet. Das strikte Befolgen von Regeln kann sogar zu Verbrechen führen. Denn die größten Greueltaten wurden nicht gegen das Gesetz, sondern im Einklang damit durchgeführt. Himmler und Eichmann haben immer wieder betont, dass der NS-Judenmord nach klaren Regeln sauber abgewickelt wurde. Hannah Arend nennt das die Banalität des Bösen. Blinde Regeltreue kann immer noch schaden: Wer vor einem Notfall im Straßenverkehr Angst hat, eine rote Ampel zu überfahren, um Platz zu machen, ist nicht ordentlich und folgsam, sondern gemeingefährlich. Regelbrüche können, ja müssen oft die Regeln erhalten oder stabilisieren. Das ist im Alltag gar nicht so selten: „Dienst nach Vorschrift“ legt die Behörden lahm und funktioniert wunderbar als eine Form des Streiks. Aber Regelbrüche sind auch die Quelle aller Veränderungen. Die Übergänge zwischen den großen Stilepochen, wie sie das Kerngerüst der Kunstgeschichte darstellt, waren immer kreative Regelabweichungen. Und sie wurden oft als Manierismen empfunden und einmal, zwischen Renaissance und Barock sogar offiziell so bezeichnet. Kleine Regelabweichungen brechen die alten Regeln nicht. Aber in der Summe vieler solcher ergibt sich ein neues Regelsystem, das oft um so lauter Verbindlichkeit einfordert (…siehe die Radfahrer…). |
Die 02. Ausstellung zum
Jahresprogramm Regeln
regeln. Regeln regeln! 2019 des
EINSTELLUNGSRAUM e.V. |
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Gefördert
von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und
Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek |