nämlich zeigen, dass die Wertschätzung, die man gewöhnlich Kunstgegenständen entgegen bringt, auch den Fetischen des Konsums und der profanen Kulte in Showgeschäft und Sport gilt, wogegen Kunstwerke eher als Spielverderber empfunden werden, weil sie als Objekte der Dechiffrierung und Offenlegung fungieren, die im sprichwörtlich „wie geölt“ ablaufenden Betrieb eines Milliardengeschäfts der öffentlichen Unterhaltung nicht gerne gesehen werden.

Hybrid bedeutet von zweierlei Herkunft und ist eine angemessene Bezeichnung für das Rohmaterial, das wie ein Rennwagen schon seine Form durch Ingenieure erhalten hat und durch einen Unfall in einen neuen, visuell durchaus ebenfalls attraktiven Zustand versetzt worden ist, so dass Konstruktion und Zerstörung in einem je auf eigene Art konstitutiven Akt die Formgebung bestimmen. Die Aufnahme und Verwandlung dieses Materials in eine künstlerische Arbeit dekonstruiert das Fragment aus dem Motorsport und bleibt besonders wegen des Moments der Verformung auch für die späteren Arbeiten von Wilting bedeutsam. Wurden die Wagen durch das Unglück aus der Bahn und damit auch aus dem Rennen um die schnellste Rundenzeit und den Sieg geworfen, so sind sie in einen anderen Zustand übergegangen, den Wilting wegen seiner ästhetischen Besonderheit aufgegriffen hat; denn dieser Zustand, wegen dem ein Ding aus der „Wirklichkeit“ ausgeschlossen und somit verworfen wird, interessiert ihn. Das Verworfene (Abjekt)3  wird als Kunstobjekt erneut zur Anschauung gebracht und somit in den öffentlichen Diskurs zurückgebracht. Um so einen Prozess der Rückholung des Abgestoßenen geht es auch in den Echtzeitplastiken, wo ebenfalls das Verhältnis von Objekten zur Zeit zu klären ist. In beiden Werkgruppen von Wilting handelt es sich um Splitter von Wirklichkeit, die nur zeitweise vorhanden sind.

Zunächst sind sie durch technische Bedingungen und wegen eines Verlangens gestaltet worden, dann aber aus dem Kreislauf der Verwertbarkeit geflogen, um durch den Nachbau als Kunstwerk abermals verändert in das Bewusstsein zurück gebracht zu werden. Heute verwendet Wilting den inneren Antrieb, der aus der Zwischenwelt von Faszination und Schrecken im Bezug auf Technik und Geschwindigkeit kommt, und sucht ihn in der von ihm selbst verursachten plastischen Verformung herauszubilden, damit dieses Etwas, was sich eigentlich der Sichtbarkeit entzieht, darstellbar wird. Er setzt nun allerdings keine materiellen Versatzstücke mehr ein, sondern virtuelle. Das Rohmaterial sind die Empfindungen eines Berufskraftfahrers zwischen Routine und den oft minimalen Varianten, die sich während der täglichen Fahrt auf der immer gleichen Fahrstrecke äußern, und ggf. mit dem Begriff „Seelenzustände“4  bezeichnet werden könnten. Es sind komplett hypothetische Gebilde, die physisch schwer zu fassen sind, aber mit Hilfe eines abbildenden Verfahrens virtuell gestaltet und letztlich auf dem Bildschirm oder durch einen Beamer in „Echtzeit“ physisch sichtbar gemacht werden.

2. Geschwindigkeit - Präzision - Regelmäßigkeit

Der Titel der Ausstellung „Heidelberger Maschine“ bezieht sich auf die von Wilting in einem grauen Kombi täglich zurückgelegte Fahrstrecke von Köln nach Heidelberg und zurück. Zufällig spielt der Titel aber auch indirekt auf die Heidelberger Druckmaschinen Fabrik an, einen auf dem Weltmarkt führenden Hersteller von Off-Set-Druckmaschinen. Auch hier im EINSTELLUNGSRAUM steht ein Drucker, der allerdings als Tintenstrahldrucker mit einem vollkommen anderen Verfahren die in dieser Ausstellung in Echtzeit am Bildschirm hergestellten Plastiken ausdrucken und abbilden kann.
3 Julia Kristeva spricht von Abjekt im Sinne von Abgestoßenem und Abgesonderten, das Gesellschaften über den Haufen werfen, also aus dem Sichtfeld entfernen oder – die Psyche betreffend – verdrängen. Sie setzt es dem „Wunschobjekt“ entgegen. Siehe auch: http://www.cla.purdue.edu/academic/engl/theory/psychoanalysis/kristevaabject.html (April 2010)
4  Diese Bezeichnung ist von dem Titel einer Folge von Gemälden abgeleitet, mit dem Umberto Boccioni 1911 drei Zustände von Eisenbahnreisenden zu erfassen versuchte: Die Abschiede, die (auf dem Bahnsteig) Zurückbleibenden und die (im Zug sitzenden) Abreisenden.
Die 1. Ausstellung Jahresprojekt HYBRID,   EINSTELLUNGSRAUM e.V.
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Gefördert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg 
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