Das Ausgestoßene zurückholen
von Johannes Lothar Schröder

1. Die Konstruktion von Autowracks

Norbert Wilting ist in Hamburg kein Unbekannter. 1993 stellte er in der Galerie Cato Jans in der Humboldtstraße 39 mit dem Titel „Faster“ Fahrzeugobjekte, Monococks und Fotos aus und schaffte es, mit den Fotos seiner konstruiert demolierten Monoposti ins Feuilleton der Hamburger Presse1. Waren ebenfalls ausgestellte Karosseriesplitter in den Farben der Rennställe lackiert, so blieben die Autowracks, „Timewreckages“ genannt, im kruden Braunton der Pappen, aus denen sie maßstäblich verkleinert gebaut worden waren. Kaum treffender als mit dem damals in der philosophischen Literatur der Yale Critics in Umlauf gebrachte Begriff Dekonstruktion hätte man diese Arbeiten belegen können, wenn dieser Begriff nicht auf Literatur bezogen unter anderen Vorzeichen entstanden wäre. Schließlich ist es so, dass die Konstruktionen von zerstörten Formel I - Rennwagen die Dysfunktionalität der Karosserien verdoppelt, die durch die Umwandlung kinetischer Energie schon in einen anderen Zustand übergegangen sind und folglich nicht mehr für Rennen einsetzbar waren. Es ist aber nicht unmittelbar einsehbar, warum gleichzeitig die visuelle Verfügbarkeit der Wracks vom Ausschluss betroffen sein soll. Den Augen der Öffentlichkeit entzogen, kursieren allein die Fotos der Unfallwagen noch eine Weile in den Medien. Dagegen macht Wilting die durch Unfall „zerlegten“ Boliden zu Ausstellungsobjekten, wodurch sie als Objekte für eine Nachbetrachtung zugänglich sind. Auf diese Weise bleiben die in einem Massenkult bewunderten Maschinen auch in der Form ihrer Zerstörung verfügbar, denn zu Kunstobjekten gemacht, lässt sich für sie Dauer beanspruchen.
Foto Wilting

Der Übergang von einem öffentlichen Kultobjekt in ein Objekt des Kunstbetriebs offenbart aber auch, dass es Bereiche gibt, in denen Fetische kursieren, welche eine andere Art von Bewunderung und Wertschätzung erfahren als die im Kunstbetrieb übliche. Die aus braunem und grauem Karton gefertigten, aus ihrer Zeit gezogenen Wracks - der Name Timewreckages2  spielt ja mit der temporären Gültigkeit ihrer Aura - zeigen aber auch, dass es eine Schranke zwischen Bewunderung und Ablehnung gibt und der Raum für Kritik von dem der Verherrlichung des Geschwindigkeitswahnsinns scharf getrennt ist. Wegen der Schwierigkeit, den Begriff 'Dekonstruktion' aus der Arbeit mit Texten und als philosophische Haltung auf Kunst auszudehnen, bietet es sich hier an, das Auto als Kunstobjekt unter dem Begriff Hybrid noch einmal heranzuziehen.  
1Silke Müller: Der Rest ist Fiktion, in: Hamburger Rundschau, 9. Sept. 1993, Nr. 37, S. 49. Rezension der Ausst. "Faster" in der Galerie Cato Jans in der Humboldtstraße 39
2 Der Begriff, den Wilting verwendet, erinnert daran, dass auch die Zeit verunglückt ist; denn mit dem äußerlichen Schaden ist die Rundenzeit und/oder der Platz im Rennen verloren
Die 1. Ausstellung Jahresprojekt HYBRID,   EINSTELLUNGSRAUM e.V.
mehr Bilder
Gefördert von der Behörde für Kultur, Sport und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg 
back
next