flammend geformte Mauer, um die sich die Uräusschlange gelegt hat, in der ägyptischen Mythologie das Auge Res und zugleich Trägerin der Sonnenscheibe. In ihrem Mund trägt sie ein goldenes Ei, zentrales Symbol des hinduistisch-brahmanischen Schöpfungsmythos.
Geschützt von der Mauer sehen wir kleine bedruckte Säckchen, gefüllt mit Salz, dem „weißen Gold“ Mitteleuropas, das bei den Römern und Griechen als Geschenk der Götter galt und bis ins Mittelalter als Zahlungsmittel diente, wovon noch heute der Begriff Salär zeugt, oder das englische Salary.
Die Schrift auf den Säckchen wiederum verweist auf das Buch, das die Maria im spätgotischen Paradiesgärtlein in Händen hält und das wir sicherlich als Bibel deuten können. In größerem Zusammenhang können wir es als stellvertretend für heilige Schriften im Allgemeinen begreifen. Den heiligen Schriften der großen Religionen ist wiederum zu eigen, dass in ihnen nicht nur vordergründig die Gesetze und damit die Ordnung für menschliches Verhalten vermittelt werden; es ist auch üblich, wie bereits erwähnt, ihnen eine zahlensymbolisch begründete Struktur zuzuschreiben, also den Nachvollzug der mathematisch göttlichen Ordnung.
Das vierte Element, die Grenze, die die  Salzsäckchen umgibt, scheint in diesem Ensemble allerdings weniger eine zu überwindende Barriere zu sein, sondern vielmehr eine Schutzmauer, die einen Ort der Fülle, des Lichts und Erkenntnis zu behüten scheint.


Zwei weitere Arbeiten nutzen den metaphorischen Komplex von Gold und Aufstieg bzw. Überwindung der Grenze zur Einheit auf einer sehr persönlichen, psychologischen Ebene, die dem Umgang C.G. Jungs mit der Materie nahekommt.
Da sehen wir einen Spiegel in goldenem Rahmen, durch dessen Oberfläche, der Grenze zwischen Dieseits und Jenseits, das Wort „Schuld“ in Spiegelschrift erscheint. Daneben hockt ein kleiner vergoldeter Vogel, ein schon in der Vorgeschichte geläufiges Symbol für die Seele. Hier wird der Rahmen zu einem goldenen Tor, der Blick in den Spiegel jedoch wird zu dem Blick auf einen abgespaltenen Doppelgänger, der uns mit der erratischen Schuldzuweisung den Blick auf unser vollständiges Selbst verstellt, aus dem wir das Gold der Seele zu heben erhoffen. Ein psychologische Vexierspiel, das eher individuell und subjektiv erfahren als vermeintlich objektiv gedeutet werden sollte.

Und schließlich begegnet uns an der Wand hinter mir die Verarbeitung eines Kindheitstraumas der Künstlerin, die Erinnerung an eine Bombennacht im Zweiten Weltkrieg, in der sie allein im Keller eines brennenden Hauses ausharren mußte, bis sie schließlich von ihrer Großmutter durch Finsternis und Rauch hinauf geführt wurde.
Hier begegnet uns der Aufstieg aus dem Schatten und dem Mangel des Ist-Zustandes in ein erlösendes Licht als erschütternde Realität. Das Licht erscheint jedoch als Zwienatur: es ist nicht nur die Antithese der Dunkelheit, sondern erscheint auch als zerstörerisches Feuer, das im Kontext des Aufstieges vielleicht als Fegefeuer gelesen werden kann, als das Feuer des Läuterungsberges, als eine Grenze anderer Art. Denn die Martern der Seele, die sie im Purgatorium erlebt, werden belohnt mit dem Aufstieg in das himmlische Paradies.

Und so möchte ich schließen mit der Vision der Himmelsleiter von Dante Alighieri wie er sie in dem Abschnitt „Das Himmlische Paradies“, einundzwanzigster Gesang, in der Göttlichen Komödie beschreibt.

Im Sternenspiegel, der die Welt umwandert
und jenes guten Herrschers Namen trägt *,
der alles Böse unter sich erstickte,
sah ich in goldner, lichtdurchwirkter Farbe
sich eine Leiter nach der Höhe recken,
so fernhin, daß mein Blick ihr nicht mehr folgte.
Und niedersteigen auf den Sprossen sah ich
so viele Lichter, daß ich dachte, alles
was glänzt im Himmel, strömte hier herab.
Übers.: Karl Vossler

*(gemeint ist Saturn, der gleichgesetzt wird mit Kronos, dem Herrscher des Goldenen Zeitalters und Vorgänger von Zeus)



ⓒ Dr. Thomas Piesbergen / VG Wort, Februar 2020
Die 01. Ausstellung zum Jahresprogramm SPRIT  und SPIRIT des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2020
Präsentation
Vernissage
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