Natürlich sind die "Treppen" des Jahresthemas 2011 nicht im wort-wörtlichen Sinne zu verstehen. Sie stehen für keine profane, sondern vielmehr für eine metaphorische oder spirituelle Aufwärtsbewegung. Eine Bewegung, die durch ihre Nichtlokalität gekennzeichnet ist!
Die wichtigsten Aspekte der vertikalen Perspektive kann man sehr gut durch die zwei verschiedenen Blickrichtungen illustrieren, die durch sie ermöglicht werden, nämlich den Blick hinauf und den Blick hinunter:
Betrachten zwei voneinander getrennte Liebende im selben Moment den Mond, überwinden sie das horizontale Voneinander-Getrennt-Sein und sind in Gedanken beieinander. Die lokale Trennung wird aufgehoben durch das nichtlokale Ereignis, durch die Bewegung in die vertikale Wirklichkeit, das gedankliche Am-Selben-Ort-Sein.
Die Bedeutung des Blickes hinunter wird deutlich, wenn man sich eine Katze vorstellt, die versucht, das Muster eines Teppichs, auf dem sie sitzt, nachzuvollziehen, und nichts als ein regelloses Durcheinander einzelner Fäden erkennen kann. Erst wenn sie auf den Schrank gesprungen ist, fügt sich das scheinbare Chaos zu einem in sich geschlossenen Muster. Der verlorengegangene Überblick ist wieder hergestellt worden. Die Wirklichkeit, die durch das horizontale Auseinanderstreben zerrissen worden ist, wird wieder zusammengefügt.


Die Idee der nichtlokalen, vertikalen Wirklichkeit findet sich in nahezu allen Religionen der Erde als Idee des Weltmittelpunkts, der Weltachse oder der Himmelsleiter wieder, die den Aufstieg in eine übergeordnete Wirklichkeit ermöglicht, um von dort aus die gestörte Ordnung wieder herzustellen. Vor allem im nordasiatischen und nordamerikanischen Schamanismus ist diese Denkungsart exemplarisch zu beobachten.
Der Anthropologe Joseph Campbell, dessen Untersuchungen auf diesem Gebiet, neben denen von Mircea Eliade, bahnbrechend gewesen sind, zitiert in seinem Werk "Die Kraft der Mythen" den Sioux Schamane Schwarzer Hirsch:
"Ich sah mich auf dem Berg in der Mitte der Welt, der höchsten Stelle, und ich hatte eine Vision, denn ich schaute die Welt auf heilige Art. [...] Doch der Berg in der Mitte ist überall."
Das ist eine wirklich mythologische Erkenntnis. Sie unterscheidet zwischen dem lokalen Kultbild, Harney Peak, und seiner Konnotation als Zentrum der Welt. Das Zentrum der Welt ist die Axis Mundi, der Mittelpunkt, der Pol, um den sich alles dreht" (Campbell 1989, 97).
 

Der Punkt, an dem der Übergang von einer Bewegung in der horizontalen Wirklichkeit zu einer Bewegung in die vertikalen Wirklichkeit stattfindet, ist nicht-lokal. Er ist ideeller Natur. Der Übergang kann sich immer und überall ereignen.

  •   "Kreuzungen und andere Gebilde"

Der Titel, den Elke Suhr für ihre Ausstellung gewählt hat, verweist zunächst auf die Kreuzungen in der Horizontalen. Von dem sich Bewegenden aus gesehen, sind Kreuzungen vor allem Orte des Konflikts. An ihnen gilt es, seine eigenen Interessen, das Streben in eine bestimmte Richtung, mit den Interessen anderer Verkehrsteilnehmer abzustimmen, sonst würde es zum Unfall kommen. Will man keinen Zusammenstoß riskieren, muß also der Raserei der horizontalen Wirklichkeit Einhalt geboten werden. Deshalb sind Kreuzungen Orte, an denen man zum Stillstand kommt - entweder an einer Ampel oder durch einen Unfall.
Doch gibt es auch die Kreuzung der horizontalen und der vertikalen Bewegungsrichtung. Auch für diesen Richtungswechsel muß die horizontale Raserei unterbrochen werden. Das Innehalten an der Kreuzung im Straßenverkehr ist immer existentiell und deshalb unterschwellig mit der Frage nach Transzendenz und der vertikalen Wirklichkeit verbunden. Man hält an, um nicht in einem Unfall zu sterben oder andere umzubringen. Kreuzungen zwingen den Menschen, sich mit dem eigenen Tod, der Sterblichkeit sowie der Endlichkeit der horizontalen Wirklichkeit und ihren Davonstreben auseinander zu setzen.
Es ist den Beharrungskräften geistiger Trägheit und dem menschlichen Konservativismus anzulasten, daß der Richtungswechsel in die vertikale Wirklichkeit meist erst durch einen Unfall erzwungen werden muß. Es muß eine schockartige Erweckung aus der horizontalen Raserei stattfinden. Neben dem alltäglichen Tod auf unseren Straßen bieten die Nachrichten zahllose grausame Beispiele solcher Unfälle im großen Maßstab, wie z.B. die Ölkatastrophe von Deep Water Horizon, die erschreckend wenig Konsequenzen gezeitigt hat, oder die Auswirkungen des Klimawandels und das Atomdesaster von Fukushima, die weltweit ein lange überfälliges, neues Denken anregen.
Man kann nicht ungebremst, bis in alle Ewigkeiten weiter rasen. Die fixe
Idee des

Vernissage
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