unendlichen Wachstums ist illusorisch und gefährlich. Automobiler Eskapismus ist kein Ausweg. Das horizontale Modell der Wirklichkeit hat abgewirtschaftet.
Aus diesem Grund thematisiert Elke Suhr in ihren Bildern immer wieder den Unfall, den Kataklysmus, der die Raserei zu einem jähen Stillstand bringt und einen erhöhten Blick auf eine auseinander gerissene Wirklichkeit erzwingt.

  •  Die Bildleiter
Die Bildleitern Elke Suhr's bestehen jeweils aus drei übereinander angeordneten, durch zwei seitlich angebrachte Leisten miteinander verbundenen Fotografien. In ihnen werden zunächst die Prinzipien Straße und Leiter einander gegenüber gestellt. Die Straße macht räumliches Getrenntsein von zwei Orten manifest. Die Leiter hingegen überwindet diese Trennung auf quasi-dialektischem Weg, denn sie braucht zwei voneinander getrennte Standpunkte, um eine Bewegung in die Vertikale zu ermöglichen. Durch das Zusammenwirken der voneinander getrennten Standpunkte wird das horizontale Getrenntsein transzendiert.

Wie weiter oben schon erwähnt, ist die Leiter in zahlreichen Kulturen Symbol für spirituellen Aufstieg. Dieser Aufstieg beschreibt den Weg von einer profanen, stofflichen, horizontalen Wirklichkeit hinauf in eine geistige, umfassendere Wirklichkeit der Ideen, der Geister oder Götter. Diese Bewegung wird in den Bildelementen der Leitern nachvollzogen.
Auf den meisten Bildleitern von Elke Suhr wird im unteren Bereich das Konkrete, Irdische, oft auch ein Akt der Zerstörung abgebildet, z.B. das Aufbrechen einer Straßendecke, das wiederum ein Innehalten in der Raserei erzwingt. Die aufsteigenden Bilder gehen Schritt für Schritt den Weg in die Abstraktion, oft in Form digitaler Auflösungen. Auf der obersten Stufe finden wir nur noch die luftige Skizze, die gegenstandslose Geste, die reine Idee.

Auf einer anderen Bildleiter sehen wir eine menschliche Figur bei der mühevollen Überquerung der horizontalen Straße. Sie ist zwischen zwei Asphaltflächen eingespannt, deren querlaufende Mittellinien selbst wie Leiterholme wirken. Man gewinnt den Eindruck, als beobachte man den versuchten Aufstiegs eines orientierungslosen Menschen aus einer profanen, endlosen Ödnis hinauf in eine höhere Wirklichkeit; eine Konstellation
, die
an das Menschenbild des Thomas von Aquin erinnert, der den Menschen als ein Wesen begriff, das sich abmüht, von einem tierischen Zustand in einen engelsgleichen überzugehen, doch sich erst auf halben Wege dahin befindet.

  • Die Malerei
Um die Malereien Elke Suhr's zu lesen, muß man zunächst verstehen, daß sie sich nicht mit der diskursiven Frage nach dem Bild an sich und seiner medialen Kontextualität beschäftigen, auch wenn sie sich verschiedener Zitate aus anderen Medienkontexten bedienen. Von Bedeutung sind in erster Linie die semantischen Inhalte, die inneren Bilder, die sie repräsentieren. Die augenscheinlichste Besonderheit der Malereien ist die überraschende Wahl des Formats: das auf die Spitze gestellte Quadrat. Die Ecken der Bilder wirken dadurch wie Bewegungsvektoren. Das konventionelle und statische 'Oben' und 'Unten' ist einem dynamischen, drängenden 'Hinauf', 'Hinunter' und 'zur Seite' gewichen.

Als Bildinhalte sind immer wieder Kataklysmen gewählt, die die horizontale Raserei unterbrechen oder das Sinnlose des Glaubens an den eskapistischen Fetisch des Automobils deutlich machen. Man sieht Wagen, die wie Riesenspielzeug von der Gewalt des Tsunamis durcheinander geworfen sind, oder Autos, die in einen gewaltigen Strudel gezogen werden, hinab zum Nadir.
Man sieht ein einzelnes Wrack, wohl in einer Kollision umgeworfen, das schon zu Linien aus Staub zerfällt und dadurch in seine existentielle Unwirklichkeit und Bedeutungslosigkeit überführt wird. Aus dem Wrack steigt eine Treppe auf. Die Farben ihrer Stufen entsprechen den yogischen Chakren und den ihnen zugeordneten kosmischen Elementen. Sie beschreiben den Aufstieg von Erde über Wasser, Feuer, Wind und Äther bis zum Geist und schließlich zum allumfassenden Universum, der wiederhergestellten Einheit.

Auf einem anderen Bild tritt uns Dürers 'Nemesis - Das große Glück' entgegen, eine Allegorie in Anlehnung an ein Gedicht des Renaissancedichters Angelo Poliziano, der die kataklystische Rachegöttin Nemesis gleichsetzt mit der Glücksgöttin Fortuna, die zwar Glück schenkt, aber gleichzeitig für die, die das rechte Maß nicht kennen, Vernichtung bringt.


Vernissage
Gefšrdert von der Kulturbehšrde der Freien und Hansestadt Hamburg 
back
next