Die
Triade der Erkenntnis - Dr. Thomas Piesbergen
zur Ausstellung "Das Gefüge unserer Welt" von Manfred Eichhorn Die Ausstellung "Das Gefüge unserer Welt" von Manfred Eichhorn findet im September 2020 im Einstellungsraum e.V. im Rahmen des Jahresthemas "Sprit und Spirit" statt. Wenn
wir der Welt mit all ihren Erscheinungen
gegenüber stehen, ist es ein Ding der
Unmög-lichkeit, sie in allen Aspekten, mit
allem was darin ist, vom Virus bis zum
Schwarzen Loch, von der Biochemie bis zur
religiösen Ekstase, vom Haiku bis zur
postmodernen Philosophie in toto auch nur zu
erahnen. Die Welt erscheint uns uferlos und
unergründlich.
Um dieses Problem einer umfassenden Beschreibung des Universums zu umschiffen, entstand schon in der Antike eine Unterteilung der Welt in drei unterschiedliche Skalen: den Mikrokosmos und den Makrokosmos, also die Welt des winzig Kleinen und die Welt des Riesengroßen, und dazwischenliegend, die Welt des Menschen, der Mesokosmos. Von dem Mikro- und dem Makrokosmos heißt es aber in den meisten Vorstellungen von der Antike bis zur Gegenwart, sie seien ein Spiegel des jeweils anderen, wie es z.B. Leibniz seinen Monaden zuschrieb; oder sie berührten sich schließlich sogar, womit der Kreis der Existenz wieder zu einer Einheit zusammengeführt wäre. Für die Sphären der Extreme galt, dass sie beherrscht werden von wenigen, statischen Gesetz-mäßigkeiten, und dass sie den ewig gleichen Zyklen folgten. Der Bereich des Menschen jedoch gilt noch heute als unübersichtlich, vielgestaltig, dem ewigen Wandel unterworfen und ephemer. Dieses sog. triadische Denken taucht im Lauf der Kulturgeschichte in den verschiedensten Variationen auf. Im Christentum kennen wir die Triade als die Heilige Dreieinigkeit, in der der Vater für den Makrokosmos steht, der Heilige Geist als das Innewohnende, also als Mikrokosmos gedacht werden kann, und der als Mensch geborene Sohn schließlich den Mesokosmos versinnbildlicht. In der Alchimie gibt es zwar einerseits den Dualismus von dem mikrokosmischen Menschen, der dem makrokosmischen Universum entspricht, gleichzeitig aber die Triade von Natur, Menschenwelt und dem Reich Gottes, die in einer hierarchischen Abfolge stehen. In der Dialektik stellt sich die Triade als Spannungsfeld zwischen These und Antithese dar, aus denen der Mesokosmos der Synthese hervorgeht. |
Vor allem in
der evolutionären Erkenntnistheorie ist der Begriff
des Mesokosmos seit einigen Jahrzehnten unverzichtbar
geworden. Hier bezeichnet er den
Wirklichkeitsausschnitt, an den unsere kognitiven
Strukturen angepasst sind, und bezieht sich damit
wieder auf die antike Triade einer Aufteilung des
euklidischen Raums.
Doch kann das Denkschema einer Dreiteilung auch hilfreich sein im Rahmen eines Erkenntnis-modells, das die Triade nicht als Skalierung des Raums begreift, sondern als Gegenüberstellung verschiedener phänomenologischer Sphären. Das mikrokosmische Extrem könnte hier die radikal subjektive und einmalige Erfahrung des Individuums mit der zunächst namenlosen, rätselhaften und unüberschaubaren Vielgestaltigkeit der Wirklichkeit bilden. Ihm gegenüber stünde die empirische, kollektive und deshalb makrokosmische Analyse und Beschreibung derselben. Auf der einen Seite stünde also die akute Begegnung mit der Welt, auf der anderen Seite ihr abstraktes Modell; auf der einen das spontane Erleben des Einzelnen, auf der anderen die Summe der Erfahrung aller. Die changierende Mesosphäre bildet in diesem Denkmodell die Zone, in der sich diese beiden Sphären im alltäglichen Erfahrungsraum des Einzelnen durchdringen. Es ließe sich wie folgt verbildlichen: die unmittelbaren Begegnung mit der Welt liefert dieser mesokosmischen Zone die Substanz, ihre Gestalt und Ordnung aber ist geprägt von einem Ensemble von Konventionen, die aus der kollektiv entwickelten Beschreibung der Welt abgeleitet sind. Zudem prägen diese Konventionen die Art und Weise, wie das Individuum Erfahrungen aufnimmt, filtert und einordnet. Rückwirkend
werden in diesem Mesokosmos die kollektiven
Erklärungsmodelle der Welt über- prüft und
gegebenenfalls korrigiert, wenn die subjektiven
Erfahrungen, also die Impulse aus dem Namenlosen, in
zu starkem Widerspruch mit dem auf sie angewandten
Ordnungssystem stehen.
Im Sinne der Dialektik ist der so verstandene Mesokosmos der Bereich, in dem unsere jeweilig erlebte kulturelle Realität in der Schnittmenge der abstrakten Modelle des Makrokosmos und der subjektiven Erlebnisse des Mikrokosmos synthetisiert wird. Für den Mikrokosmos in diesem Modell kann gelten, dass er seit der Menschwerdung nahezu unverändert geblieben ist. Die unmittelbare Begegnung mit der Wirklichkeit, mit Leben, Tod und Kosmos, mit dem Sein an sich, löst wohl noch immer das gleiche ehrfürchtige und sprachlose Erschauern in uns aus, wie vor 100.000 Jahren. Und was Lao Tse vom Tao geschrieben hat, gilt noch heute: „Der Name, den man nennen kann, ist nicht der ewige Name. Jenseits des Nennbaren liegt der Anfang der Welt.“ |
Der
07.Beitrag zum Jahresprogramm SPRIT und
SPIRIT des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2020
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