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Genauso können aber
auch öffentliche Bilder wie Fotos aus Zeitungen Teil
unseres subjektiven Erinnerungsrepertoires werden und
mit bestimmten Qualia-Komplexen eng verknüpft sein.
Diese Überschneidung und Durchdringung von inneren Bildern mit den vermeintlich objektiven, öffentlichen Bildern ist einer der Gründe gewesen, aus dem Peter Boué, nachdem er lange nur Dinge gezeichnet hat, die vollständig seiner Imagination entsprungen waren, seit geraumer Zeit auf Bildvorlagen zurückgreift. Als Ausgangsmaterial dienen ihm dafür sowohl selbst gemachte Fotos, als auch Bilder aus der Zeitung. Doch selbst wenn die Umsetzung mitunter frappierend realistische Effekte hervorbringt, haben wir es, ganz ähnlich wie im Falle C.D. Friedrichs, keinesfalls mit der Darstellung faktischer Orte zu tun. Denn ganz im Sinne des Prozesses, in dem sich innere Bilder aus der Bündelung ähnlicher Beobachtungen und Qualia-Komplexe aus der Zusammenfassung von verschiedenen Ereignissen mit sich gleichender Gefühlslage ergeben, konstruiert Peter Boué seine semi-urbanen Landschaften aus verschiedenen, miteinander verschmolzenen Bildern. So entstehen aus der Zusammenführung von verschiedenen dokumentarischen Bildern künstlich erschaffene Anmutungen der Authentizität, die aber nichts Faktisches abbilden, sondern wiederum auf etwas verweisen sollen, das nicht abbildbar ist. Auf der motivischen Ebene wird dieses abstrakte Vexierspiel fortgesetzt. Wir sehen kahle Ort, die Kennzeichen des Umbruchs tragen. Reifenspuren von Lastwagen oder Baggern, ausgehobene Gruben, seltsame Abdrücke im Sand. Spuren erster Ordnung, die konkret auf die Maschinen verweisen, die sie hervorgerufen haben, und Spuren zweiter Ordnung, die die Vergangenheit oder die Zukunft des Geländes erahnen lassen: etwas, das einmal auf einer planierten Fläche gestanden hat, oder das, was auf ihr errichtet werden soll. Immer sind es Orte im Transit, explizit vorübergehende Zustände, unstete, liminale und dennoch vollständig stille und eingefrorene Stätten zwischen Vergangenheit und Zukunft. |
Dieser metamorphen Qualität entsprechen auch
zwei formale Aspekte der Arbeiten. Die massiven Schwärzen,
mit denen Peter Boué seit langer Zeit arbeitet, sind
niemals einfach nur schwarze, tote Flächen. Entweder
erzeugen sie eine dynamische Tiefe, die uns anzieht oder
sogar ein Gefühl des Schwindels in uns hervorruft, oder
sie scheinen etwas in sich zu verbergen, das nur darauf
wartet, aus der Dunkelheit hervorzutreten; etwas, das uns
beunruhigt, auf das wir lauern und das uns vielleicht
ebenso belauert. Die Nicht-Sichtbarkeit dessen, was die
Schwärze vielleicht verbirgt, evoziert das irritierende
Gefühl einer Anwesenheit. Andere Bilder fallen, trotz des fast fotorealistischen Eindrucks, den sie aus einer gewissen Entfernung wecken, aus der Nähe völlig in einzelne Striche, in Zusammenballungen oder Streuung der Kohlepigmente auseinander. Sie lösen sich zu einem schwarz-weißen Rauschen auf. Vor unserem inneren Auge jedoch ziehen wir dieses abgestuften, mal sich entziehenden, mal dichter werdenden Kohlegestöber zu projizierten Bildeinheiten zusammen, so wie wir Formen in Wolken hinein sehen. So erleben wir in diesen Flächen sowohl den Zusammenbruch und die Auflösung des Motivs, als auch die Neuformierung imaginierter, möglicher Bildinhalte. Wir erleben also nicht nur die Motive, sondern auch die Texturen als metamorph, im Übergang befindlich. Das, was unsere Erfahrung, unsere Wirklichkeit in Gang hält, sie unentwegt mit neuem Treibstoff versorgt, ist der stetig voranschreitende Wandel der niemals selbstidentischen Dinge in der Zeit, wie in dem bereits genannten Zitat Henri Bergsons, der damit dem Gleichnis vom Fluß des Heraklit ein neues, sprachliches Gewand gegeben hat. Doch eine menschliche Dimension der Wirklichkeit kann sich nur dort entfalten, wo wir aus der uferlosen, ewig strömenden Flut des Flußes selbstähnliche Erfahrungen zur Deckung bringen und in ihren Schnittmengen überzeitliche Muster erkennen, die uns erlauben, uns unserem unabbildbaren, unaussprechlichen Selbst anzunähern. Einem Selbst im Umbruch, das sich nur in einer zur Ewigkeit ausgedehnten Gegenwart selbst ganz erfahren kann. © Dr. Thomas J. Piesbergen / VG Wort, September 2020 |
| Der
08.Beitrag zum Jahresprogramm SPRIT und
SPIRIT des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2020
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| Präsentation
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Vernissage |
| Gefördert
von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und
Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek |
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