Schnittmengen
schließlich zu intimen, emotional aufgeladenen, iden-
titätsstiftenden Inseln in dem Strom unseres
Erfahrungskontinuumms. Sie können zuverlässig komplexe
Seelenzustände wie z.B. Sehnsucht, Schwermut, Unbehagen
oder Geborgenheit verkörpern und bilden als subjektive
Ideale und Archetypen wichtige Orientierungspunkte in
der Auseinandersetzung mit uns selbst und der Welt.
Das, was Kurt Drawert das "Unaussprechliche" nennt, ist also etwas, mit dem wir nicht nur in der Literatur zu tun haben. Es bezeichnet einen generellen Aspekt menschlichen Erlebens und ist genauso das "Unabbildbare". Durch seine Verwurzelung in der vorsprachlichen Region der Empfindungen, Affekte und Gefühle und seine dadurch bedingte Eigenschaft, disparate Dinge assoziativ in einen emotional konsistenten Kontext zu bringen, kann es sowohl als Impuls für alle kreativen Prozesse verstanden werden. Denn Neues kann nur geschaffen werden, wenn neue, bisher nicht realisierte Zusammenhänge gebildet werden. Diese Leistung kann aber nur mittels unserer assoziierenden Gefühle erbracht werden, und dieser Aspekt der Entstehung wiederum macht die so in die Welt gesetzte Schöpfung zu etwas menschlich Relevantem, denn ihr Bezug auf die conditio humana ist a priori gegeben. Ein promintes Beispiel aus der Kunstgeschichte, das diesen Komplex der subjektiven Idealbildung und deren künstlerische Übersetzung ausgezeichnet illustriert, ist Caspar David Friedrich. Seine Landschaften waren trotz einer vordergründig realistischen Darstellung immer Ausdruck eines inneren Erlebens und Gegenstand langwieriger, akribischer Konstruktion. Er schrieb: "Schließe dein leibliches Auge, damit du mit mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann förder zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen."6 Entsprechend weigerte er sich standhaft, ein wissenschaftliches Essay Goethes über die Wolkenbildung zu illustrieren, da seine beeindruckenden |
Wolkengebilde
nicht der akut beobachteten Natur abgeschaut waren,
sonder mit Reißschiene und Zirkel konstruierte
Idealtypen darstellten.7 Sie
waren die Summe aller Wolken, die er in
Zusammenhang mit einer ganz bestimmten Qualia
stellte, und deshalb essentieller Teil der für
ihn schlüssigsten Repräsentation derselben
waren. Diese inneren Bilder, die eine Summe von äußeren, einander entsprechenden Eindrücken, den damit korrespondierenden Gefühlen und assoziierten Erinnerungsinhalten darstellen, stehen für eine höhere, innere Wirklichkeit, die dem Selbstgefühl des Künstlers und seiner einzigartigen Weltwahrnehmung gerechter wird und für ihn entsprechend eine höhere Gültigkeit besitzt, als alle von außen gemachten Zuschreibungen oder kollektiven Übereinkünfte, wie die Wirklichkeit sei. Denn die Qualia ist gelebte subjektive Wirklichkeit. Bilder, die aus ihr hervorgehen, sind nach dem subjektiven Gefühl des Künstlers deshalb immer lebendiger und wirklicher als rein naturalistische Abbildungen. Zugleich kann er durch sie die als nicht mitteilbar, nicht abbildbar geltende subjektive Wirklichkeit bis zu einem gewissen Grad doch mitteilbar machen und abbilden, so wie Literatur sich sprachlich auch dem Unaussprechlichen nähern kann. Wie ist es aber um den Wirklichkeitsgehalt der Bilder bestellt, seit dem die Fotografie für sich reklamiert, ihre einzig authentische Darstellungsform zu sein? Durch die Reproduzierbarkeit der Fotografie und die damit einhergehende Wiederholung der Rezeption ein und desselben Fotos in verschiedenen Kontexten, ist es den Lichtbildern gelungen, in unsere innere Bildwelt zu migrieren. Wie sehr uns das betrifft, läßt sich schnell nachvollziehen, wenn man sich alte, oft betrachtete Fotos vor Augen führt, die durch ihren wiederholten Gebrauch als Auslöser für Erinnerungen selbst zu Kernen von Erinnerungsgeflechten geworden sind oder die authentischen Erinnerungen sogar abgelöst haben. Mitunter bringen sie so offenkundig unsinnige Verzerrung hervor, wie eine Eintönung der ursprünglichen Erinnerung in den vergilbten Ton von Agfa-Fotopapier. |
6 Friedrich,
Caspar David, Äußerungen bei Betrachtung einer
Sammlung von Gemählden von größtentheils noch
lebenden und unlängst verstorbenen Künstlern.
In: Gerhard Eimer, Günther Rat, (Hg.), Kritische
Edition der Schriften des Künstlers und seiner
Zeitgenossen, Teil 1, Frankfurter Fundamente der
Kunstgeschichte, XVI, 1999 |
7 Lea
Singe: Anatomie der Wolken, Hoffman und Campe,
2015 |
Der
08.Beitrag zum Jahresprogramm SPRIT und
SPIRIT des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2020
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Präsentation
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Vernissage |
Gefördert
von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und
Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek |
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