In der Wissenschaft und Philosophie bleiben es zwei strikt voneinander geschiedene Denkoperationen, selbst wenn sich in unserem Wahrnehmungskontinuum beide Vektoren der Rezeption ununterbrochen durchdringen, d.h. in unserem akuten Erleben sind sie nicht mehr durch ein Entweder/Oder voneinander getrennt.

Dieser Prozess der Spaltung der Einheit und deren Rekonstruktion, den unser westlich geprägter Geist vornimmt, findet in Klaus Beckers Werk in seinen sog. Denkzeichnungen seinen Ausdruck, in denen er gedankliche Operationen und Phänomene visualisiert. Beherrschend in diesen Zeichnungen ist das Dreieck, das die Bewegung vom Einen zum Vielen und umgekehrt repräsentiert, und gleichzeitig als Richtungspfeil der rezeptiven Vektoren gedeutet werden kann, also als Induktion und Deduktion. Eine Struktur von besonderer Bedeutung ist dabei Beckers sog. „Oszilliar“, das die Schwingung der Wahrnehmung zwischen Einheit und Vielheit sowie deren gegenseitige Durchdringung darstellt.

Behalten wir diese Idee des Oszillierens im Kopf, und machen einen Schritt zurück zu der im Westen vollzogenen Trennung von Schöpfer und Schöpfung, betreten wir den Raum des Diskurses über Ursache und Wirkung.

Ihre unabdingbare, lineare Verknüpfung ist lange Zeit das absolute Paradigma der westlichen Wissenschaft und Logik gewesen, bis es schließlich vor etwa hundert Jahren durch die Quantenphysik mit ihren „spooky actions at a distance“ zu einem erschütternden Paradigmenwechsel gekommen ist, dessen Konsequenzen wir bis heute nur sehr zögerlich und widerstrebend in unsere Denkgewohnheiten einlassen mögen, da sie ihnen grundlegend widersprechen.

Denn in der Welt der Quanten gibt es Wechselwirkungen zwischen einzelnen Teilchen, die ohne zeitliche Verzögerung und ohne Austausch von Energie stattfinden. Indem aber die Ereignisse nicht in ein davor und danach geordnet werden können, sie also zugleich geschehen, wird das zeitlich lineare Denken in Ursache-Wirkungs-Verkettungen ad absurdum geführt, und damit natürlich auch die Idee der vergöttlichten Ersten Ursache, die wir in eine unerreichbare Ferne jenseits von Raum und Zeit verlegt haben.


Diese Verschränkung können wir uns ebenfalls als ein Oszillieren vorstellen, als eine unabdingbare und unmittelbare Wechselwirkung zwischen Ereignissen, die unsere Denktradition, geprägt von der Vorstellung eines schöpfenden Gottes jenseits der Welt, in die lineare Abfolge von Ursache und Wirkung ordnet.
Im östlichen Denken, in dessen Kern sich die Abspaltung der Ersten Ursache von der verursachten Schöpfung niemals vollzogen hat, tritt die Idee vom inhärenten und überzeitlich Göttlichen vor allem in den entwicklungsgeschichtlich fortgeschrittensten Ableitungen des mütterlich-zyklischen Weltbildes in einer klar ausdifferenzierten Form wieder zu Tage, wie z.B. in den Traditionen des Zen-Buddhismus und des tibetischen Vajrayana-Buddhismus, auf den sich Klaus Becker mit dem Ausstellungstitel „Das Diamantene Fahrzeug“ ausdrücklich bezieht.

Das buddhistische Konzept, in dem Ursache und Wirkung aufgelöst werden, wird „bedingt abhängiges Entstehen“ genannt, wie auch der Name der zentralen Skulpturengruppe der Ausstellung lautet, und findet in der buddhistischen Ikonographie seinen Ausdruck in der sog. „Blumengirlande“, dem Keim des So-Gekommenen. Alles was ist koexistiert, nicht nur im räumlichen, sondern auch im zeitlichen Sinn, und bringt sich gegenseitig hervor.
So schrieb Junjiro Takakusu in seinen Essentials of Buddhist Philosophy: „Eigen, wie sie sind, und getrennt, wie die Zeit sie erscheinen läßt, sind alle Wesen doch zu einer Einheit zusammengeschlossen.“

So konstituieren sich Gegensatzpaare über die zeitliche Linearität hinaus und können ihre sie auszeichnende Charakteristik erst durch das Postulat des Gegenteils erhalten. Ohne Nordpol gibt es keinen Südpol, ohne Plus kein Minus, ohne Vorher kein Nachher. So heißt es ebenfalls bei Takakusu: „Wenn eines Innen wird, wird das andere Außen sein - und umgekehrt.“
Es gibt also keine zeitlich getrennte Abfolge von Ursache und Wirkung, sondern nur ein unmitelbar verschränktes, korrelierendes Jetzt, das alle Erscheinungen umschließt. Die Ursache bedingt die Wirkung, genauso wie die Wirkung die Ursache bedingt.

Dieser Gedanke liegt den Skulpturen zugrunden, die aus Polyedern und einer entsprechenden Abwicklungen aus Metall zusammengesetzt sind. Die abgewickelte metallene Schale weist auf die Oberflächen des Körpers hin, kann aber ebenso als verursachend für den Körper gelesen werden, so wie der Körper als verursachend für die Abwicklung gelesen werden kann. Weder das eine, noch das andere steht am Anfang.

Die Welt oszilliert zwischen diesen beiden Polen, von denen es aber unendlich viele geben kann, vergleichbar mit dem Spin der Elementarteilchen, die sich solange um unendlich viele Achsen drehen, bis sie beobachtet werden und sich um die Achse drehen, die wir durch unsere Beobachtung bestimmt haben. Eine willkürlich konstruierte Polarität,

Die 02. Ausstellung zum Jahresprogramm SPRIT  und SPIRIT des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2020
Präsentation
Vernissage
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