Betrachten wir nun die Identität als einen Prozess, der sich über den gesamten menschlichen Lebenszyklus erstreckt: Vor allem in der Kindheit und Jugend, in der der Erfahrungshorizont bestenfalls ununterbrochen erweitert wird, werden Erinnerungen und Identität aufgebaut. Der Beschreibung von David Gelernter folgend, legt der menschliche Geist ähnliche Erinnerungen übereinander, löscht Irrelevantes und bildet aus den verdichteten Wiederholungen von Erfahrung Matrizen, die als zusammenfassende Gedächtnisinhalte abgelegt werden.
Die Summe dieser Inhalte, der Aussage Buddhas entsprechend, repräsentiert nicht nur unsere Weltsicht, sondern auch die Identität unseres neurologischen Bewußtseins, die sich in der Regel zusehends verfestigt, da wir dazu neigen, die bereits gebildeten Matrizen, also Modellvor- stellungen der Welt, zu bestätigen.

Doch selbst, wenn die Dynamik des identitätsbildenden Prozesses im Laufe der Lebensjahre abnimmt, kommt sie nie zum Stillstand, bis sie schließlich langsam in einen Abbau übergeht. Konkrete Erinnerungen werden durch stetige Überlagerung immer blasser oder zerfallen schleichend und endgültig. Im Falle extremer Demenz kommt sich der Mensch schließlich ganz abhanden und auch seine engsten Vertrauten und Angehörigen erkennen sein Wesen, seine Identität, nicht wieder. Mit dem Gedächtnis hat sich auch die Identität aufgelöst.

Betrachten wir die Identität auf diese Art und Weise, ist sie weder etwas, das unbeeinflußbar einem inneren Bauplan gehorcht, noch etwas, das unserer Kontrolle unterliegt, sondern sie ist ein Formierungs- und Zerfallsprozess innerhalb bestimmter raumzeitlicher Grenzen, der in ständiger Wechselwirkung mit unserem Erfahrungskontinuum steht.

Ähnlich vertrackt steht es um die Identität der Dinge. Wann erkennen wir etwas an als Repräsentation des Begriffes, den wir dafür gemacht haben? Wenn wir uns ein Haus vorstellen, das zerfällt, ist es irgendwann kein Haus mehr, sondern eine Ruine, und irgendwann ist es keine Ruine mehr, sondern ein Haufen Schutt. Doch wann welche Phase beginnt oder endet ist unbestimmbar. Die Grenzen zwischen den voneinander unterschiedenen Phasen des Verfalls werden genauso willkürlich gesetzt, wie die Behauptung, ein Jugendlicher werde mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres zum Erwachsenen; eine gesellschaftliche Vereinbarung, die mehr als offensichtlich an der erlebten Wirklichkeit vorbei geht.
Auch in den Arbeiten und Versuchsanordnungen von Saskia Bannasch begegnet uns diese Frage nach der Identität der Dinge und ihrer Abhängigkeit von der Zeit wieder.

Eine Werkgruppe besteht aus einer Reihung von Keramikvasen, die sich von einem nahezu per- fekt geformten Vorbild zu immer unförmigeren Gebilden wandeln.
Bereits die Wahl des Materials stellt einen Bezug zur Vergänglichkeit her, denn Keramik und Porzellan sind neben Glas immer die Dinge, auf die man verweist, wenn es darum geht, daß etwas zerbrechen kann oder zerschlagen wird. Der sprichwörtliche Elefant geht durch den Porzel-lanladen, nicht durch die Buchhandlung.
Auch die zeitliche Tiefe öffnet sich mir als ehemaligem Archäologe unmittelbar, denn Keramik-scherben sind seit jeher die Leitartefakte schlechthin, wenn es um die Datierung sowie um die Zuweisung kultureller Identität von Fundplätzen der letzten 10.000 Jahre geht.

Doch wie sind die Reihungen von Saskia Bannasch entstanden? Die erste „Urvase“ wurde mit Ton abgeformt. Die so entstandene zweite Vase diente als Mutterform für eine dritte Vase etc.pp. Doch anstatt eine Reihe naturgetreuer Kopien der ersten Vase anzufertigen, dokumentiert die Reihung die Depravation ihrer Identität. Dieser Prozess entspricht erstaunlich genau dem Zellverfall durch zunehmend fehlerhafte Kopien des genetischen Codes im Laufe des Älterwerdens, genauso wie er dem Phänomen der Mutation im evolutionsbiologischen Zusammenhang entspricht.

Die Identität ändert sich von Stufe zu Stufe schleichend, bis wir einen Zustand erreicht haben, der uns dazu zwingt, von einem neuen Altersabschnitt oder einer anderen Spezies zu sprechen, von einer anderen Identität. Das auch diese Zäsuren willkürlich sind, bestätigt nicht nur unser aller subjektives Empfinden des Älterwerdens, sondern auch die laufende anthropologische Forschung, die inzwischen darauf verzichtet, eine lineare Abfolge von Menschentypen zu postulieren, statt dessen ein verzweigtes Netzwerk exemplarischer Entwicklungsstufen mit fließenden Grenzen.

Ein anderes Thema, das in den Arbeiten von Saskia Bannasch häufig wiederkehrt, ist der Kristallisationsprozess von Salz, dessen Resultat in der Arbeit „Slow Piece“ zu sehen ist.
Sobald Natriumchlorid kristallisiert, egal unter welchen Voraussetzungen, entstehen kubische
Kristalle. Diese Form basiert auf dem molekular determinierten Kristallsystem. Die räumliche
Die 8. Ausstellung zum Jahresprogramm (Keine) Wendemöglichkeit, 2018 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernissage
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