Versuche zur Identität in der Zeit - Einführungsrede von Dr. Thomas Piesbergen zur Ausstellung "Saskia Bannasch: On how to jump into fog"
Die Ausstellung "On how to jump into fog" von Saskia Bannasch wird gezeigt im Rahmen des Jahresthemas "(Keine) Wendemöglichkeit" in der Galerie des Einstellungsraum e.V., Oktober 2018

„Alles was wir sind, ist ein Resultat dessen, was wir gedacht haben.“

Dieser Sinnspruch, der dem Buddha Siddharta Gautama zugeschrieben wird, ist einer der frühesten und bis heute konsistentesten Versuche, das Wesen der menschlichen Identität zu definieren.

Besonders interessant daran ist nicht nur, daß die Identität als das Ergebnis eines anhaltenden dynamischen Prozesses begriffen wird, der mit den aktuellen Forschungen zur Neuroplastizität des Gehirns übereinstimmt, sondern auch, daß die Identität mit einer zeitliche Tiefe gedacht wird, und damit natürlich auch selbst als dem Wirken der Zeit unterworfen.
Hierin entspricht diese Aussage auch einem Fragment, das dem Vorsokratiker - und damit Zeit- genossen Buddhas - Heraklit zugeschriebenen wird. „Man kann nicht zweimal in denselben Fluß steigen.“
Das Fragment verweist nicht nur darauf, daß der Fluß stets neues Wasser führt, sondern auch daß wir nicht mehr dieselben sind, wenn wir ein zweites mal ins Wasser steigen.

Doch gerade diese Zeitlichkeit und Dynamik der Identität wird in den populistischen Denkströ-mungen, die Europa derzeit heimsuchen, standhaft geleugnet. Nationale Identitäten werden mit einer Sturheit postuliert, als wären es Naturgesetze, und mit bewußt offenkundigen Zirkel-schlüssen verteidigt, wie mit dem bayrischen „Mia san mia!“
Doch dieser Wunsch nach Stetigkeit prägt nicht nur den gesellschaftlich bedauerlicherweise sehr wirksamen Sprachgebrauch der angstgesteuerten Massen. Auch der Einzelne, mit seinem Bedürfnis nach Stabilität und Selbstbestätigung, möchte gerne mit einem standhaften „So bin ich halt!“ an der Unveränderlichkeit der eigenen Identität festhalten, gleichwohl er weiß, er hat anders wahrgenommen und gefühlt, als er ein Kleinkind, ein Teenager, ein junger Erwachsener war, oder sein Blick auf die Welt am Sonntagnachmittag ein gänzlich anderer sein kann, als der am Montagmorgen.

Es stellt sich die Frage, was eigentlich Identität ist - besser: was sie sein könnte?

Kommt ein Kind zur Welt, suchen die Eltern zuerst fast immer nach Ähnlichkeiten. Dann heißt es: „Sie hat die Nase des Großvaters“ oder „Er hat die Augen der Mutter.“ Nach diesen Überein-stimmungen wird auch weiterhin gerne Ausschau gehalten: „Er ist genauso trotzig wie Du!“ oder „Diese Beharrlichkeit hat sie von der Großmutter.“
Der Mensch neigt offenbar dazu, in einem Neugeborenen und später in dem Heranwachsenden Kind einen Keim zu wähnen, der früher oder später zutage treten muß, und etwas ans Licht bringt, was dem Kind natürlich zu eigen ist, was seine Natur ist.

Mit diesen Erwartungen wird dem Widerstreit der Konzepte „nurture or nature“ deutlich der innewohnenden Natur der Vorzug gegeben und dadurch auch dem Glauben Vorschub geleistet, es gäbe eine unveränderliche Identität, ganz im Sinne der platonischen Urbilder, die unweigerlich früher oder später zutage treten muß.

In den 90er Jahren fand diese Hypothese durch die bahnbrechenden Entwicklung der Genetik wieder zahlreiche Anhänger, und das nicht nur auf der Ebene individueller Familienähnlichkeiten, sondern vor allem in Form generalisierender Aussagen über Männer und Frauen, die häufig auf eher fragwürdige Vorstellungen der menschlichen Vorgeschichte zurückgeführt wurden.

Die Selbstbefragung des erwachsenen Menschen weist hingegen meist in eine ganz andere Richtung. Sie wendet sich der Selbstbestimmung, der Gestaltung des eigenen Lebens zu und den auszuschöpfenden Freiheitsgraden. Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist die „Selbstverwirklichung“ und die Entwicklung von Potenzialen. Der Mensch wird zu seinem eigenen Werkstück, er optimiert sich oder er erfindet sich sogar selbst ganz neu, um seine selbstgesteckte Ziele zu erreichen.

Die Identität wird dabei als etwas wahrgenommen, das entweder bisher überlagert war und erst durch eine bewußte Entscheidung zutage gefördert und entfaltet werden kann, oder als etwas, das nahezu unbegrenzt formbar ist und sich unseren gesellschaftlich induzierten Wünschen ent- sprechend gestalten lassen kann. Die Vorstellung einer „ererbten Identität“, die sich zwangsläufig zeigen wird, ist in diesem Zusammenhang nunmehr nichts weiter als ein Störfaktor, der unserer Entscheidungs- und Entwicklungsfreiheit im Wege steht und ausgeräumt werden muß.
Die 8. Ausstellung zum Jahresprogramm (Keine) Wendemöglichkeit, 2018 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernissage
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