Die Haut und der Tod - Eröffnungsrede zur Ausstellung „Adriane Steckhan - Erdenrest“ von Dr. Thomas J. Piesbergen
Die Ausstellung wird gezeigt in der Galerie des EINSTELLUNGSRAUM e.V. im Rahmen des Jahresthemas [Keine] Wendemöglichkeit, Mai 2018

Als Goethe im zweiten Teil der Faust-Tragödie die vollendeteren Engel sagen läßt:

„Uns bleibt ein Erdenrest
Zu tragen peinlich,
Und wär er von Asbest,
Er ist nicht reinlich.“,

bezieht er sich auf das Bild des Thomas von Aquin, der den Menschen als ein Wesen bezeichnet, das sich auf halbem Wege der Entwicklung vom Tier zum Engel befindet. Doch auch die vollen-deteren Engel sind noch nicht ganz vollendet, also noch nicht eins mit der Gottheit geworden, denn sie tragen einen letzten Erdenrest mit sich, von dem sie sich nicht lösen können.

Aber um was handelt es sich bei diesem Erdenrest, der ihre Vollendung verhindert, der ihrer Erlösung im Wege steht? Es ist offenbar etwas, das nicht der körperlosen jenseitigen, sondern der körperlichen, verunreinigten diesseitigen Existenz zugewandt ist, es ist etwas „Peinliches“, also nach altem Sprachverständnis etwas, das Schmerz verursacht, in dem es  am irdischen Dasein haftet und jene im irdischen Schmutz zurückhält, die nach Vollendung streben.

Wenn wir von der christlichen Terminologie in die buddhistische überwechseln, bietet sich umgehend der Begriff der Anhaftung, des Upadana an. Mit diesem Terminus wird die Unfähigkeit bezeichnet, sich vom Vergänglichen zu lösen, der Vorgang, mit dem wir unsere Identität durch Besitz und Aneignung definieren, die Zerstreuung im Sinn- und Belanglosen, und schließlich die Leugnung und Verdrängung der Vergänglichkeit an sich, d.h. auch die Weigerung, der eigenen Sterblichkeit ins Auge zu blicken.

In seinem Werk Der Urschock hat der italienische Psychohistoriker und Psychoanalytiker Luigi de Marchi die Erkenntnis der Sterblichkeit als die zentrale Kraft hinter allem menschlichen Handeln dargestellt.
Im Gegensatz zu Freud und etlichen anderen Psychoanalytikern sieht er nicht den Sexualtrieb als stärkste Kraft menschlicher Entfaltung, sondern die Abwehr der Todesangst.
  
Diese Todesangst beherrscht aber nicht nur das menschliche Handeln auf persönlicher Ebene. Sie akkumuliert und verdichtet sich auf gesellschaftlicher Ebene und findet so ihren Ausdruck in gesellschaftlichen Mustern, nach denen wir unsere Wirklichkeit ordnen und ihr eine Dimension der Bedeutung geben.

Eines der wichtigsten bedeutsamen Muster, die die Menschheit in diesem Zusammenhang hervorgebracht hat, bildet die Gesamtheit der Religionen. Alles, was sich in dem irdischen Leben des Menschen abspielt, zeitigt innerhalb religiöser Logik seine Konsequenz im jenseitigen Nachleben. Über diesen Umweg einer Jenseitsvorstellung und der moralischen Verknüpfung von dem Nachleben mit dem irdischen Leben, schlug sich die Todesabwehr in allen Aspekten der Religion, und damit in nahezu allen Aspekten des alltäglichen Lebens nieder.

Die Menschen führten ein Leben im Bewußtsein von dessen Endlichkeit, und so wie Geburten, Initiationen und Hochzeiten fester Bestandteil der rituellen Strukturierung des Lebens waren, so war es auch der Tod. Starb ein Mensch, so war dieses Sterben eingebettet in das Leben und seine Routinen. Niemand fragte danach, wie man damit umzugehen habe, da das religiöse Muster der Todesabwehr klare Verhaltensmaßregeln an die Hand gab. Und diese wiederum halfen den Hinterbliebenen, indem ihnen ermöglicht wurde, den Verstorbenen eine gute Passage ins Nachleben zu gewährleisten, sich selbst des Nachlebens zu versichern und sich so die eigene Angst vor dem Tod zu nehmen.
Entsprechend war das memento mori, also die Aufforderung „Sei der Sterblichkeit eingedenk!“, eine Erinnerung daran, daß man sich im diesseitigen Leben vor allem für das jenseitige Leben vorzubereiten habe.

In Europa erlebte diese Bewußtheit der Vergänglichkeit ihre letzte große Blüte mit dem Vanitas-Gedanken des Barock in den Nachwehen des 30jährigen Krieges. Dichtung und Kunst waren durchdrungen von Symbolen des Todes und der Hinfälligkeit des Seins, die mit der sonst inszenierten Üppigkeit des Lebens starke Kontraste bildete.
R.M. Rilke erfasste diesen Kontrast später in den Aufzeichnungen des Malte Laurits Brigge sehr treffend mit dem Satz: „Früher wußte man, daß man den Tod in sich hatte, wie eine Frucht den Kern.“

Doch mit der um 1700 einsetzenden Aufklärung und der beginnenden Vorherrschaft des Primats der Vernunft dämmerte auch der Atheismus auf, und schließlich der Nihilismus. Damit war nicht nur die vorher unerschütterliche Ordnung der Welt durch eine göttliche Ordnung dahin, sondern auch das effektivste Mittel zur Abwehr der Todesangst wirkungslos geworden.
Die 4. Ausstellung zum Jahresprogramm (Keine) Wendemöglichkeit 2018 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.

Präsentation
Vernissage
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