
Almut E. Broër:
Schattenstille V 2021, Blei / Farbstift,
Aquarell, 69cm x 50cm
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Pressetext
Immer wird die Verfassung unserer
Seelen durch die äußeren Umstände geprägt,
deren Einwirkung wir ausgesetzt sind. So wie
wechselnde Witterung auf unsere körperliche
Verfassung einwirkt, indem sie angenehme
Gefühle oder Unbehagen erzeugt, lässt sich
gleichfalls von einem Seelenklima sprechen,
je nachdem wie natürliche und soziale
Faktoren uns prägen.
Wegschauen-Wege schauen
bringt das gerade in unserer heutigen Zeit
deutlicher gesellschaftlicher Widersprüche auf
den Punkt. Das eingeschobene „e“ verrät es:
Weg(e)schauen ist doppeldeutig. Die beiden
Begriffe stehen in einem Kontrast zueinander
wie er größer kaum sein kann. Unser Auge,
unsere Seele liebt Wohlgefälliges, das unseren
routinierten Seh- und Lebensgewohnheiten
entspricht. Entpuppt sich auf den zweiten
Blick, das, was so fantastisch daherkam, als
etwas, was interpretiert, gedeutet,
hintergründig auf eine andere – oft bittere -
Welt verweist, sind wir zunächst versucht,
abweisend, ja schockiert zu reagieren und uns
nach unseren eingefahrenen Gewohnheiten
abzuwenden, eben wegzuschauen.
Die dabei zunächst
verunsichernde Doppelbödigkeit, regt aber bei
genauerem Betrachten gerade dazu an,
Altgewohntes und Eingefahrenes zu
hinterfragen. Gelingt es also, unserem
spontanen Reflex zum Wegschauen zu widerstehen
und uns auch auf das hintergründig Gesehene
näher einzulassen, auf zum einen seelenlos
erscheinende Täter, zum anderen auf Portraits,
denen das Seelenklima aus dem Gesicht spricht,
gelangen wir zu einer neuen Sichtweise, die
Raum frei werden lässt für kreative, aber auch
kritische Interpretation, für selbstbewusstes,
eigenständiges Denken und damit unsere
Seelenverfassung positiv prägt. Bewusst
eingesetzte phantastische Formen verwirren
dabei, brechen alte Gewohnheiten des
Betrachtens auf, stellen Fragen und regen dazu
an, sich auf neue Bildzusammenhänge und
ungewohnte Gedanken einzulassen. Dazu spannt
Almut E. Broër den Bogen beispielhaft von
einer visuellen Bearbeitung der Operation
Reinhardt (August-Oktober 1942) über scheinbar
friedliche Aquarelle zum Thema Flüchtlinge.
Angesichts einer zutiefst unfriedlichen und
zerbrechlichen Welt mit ihren Kriegen, dem
Klimawandel und dem Wiedererstarken rechter
Denkweisen regt Almut E. Broër gezielt dazu
an, die Verhältnisse nicht als naturgegeben
hinzunehmen, sondern mit Hilfe der Phantasie
emanzipiert eigene Alternativen und
Perspektiven zu entwickeln und damit Wege zu
schauen.
Hamburg, den 29.07.2021 Almut E.
Broër
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