Eine weitere Arbeit besteht aus Stofftaschentüchern aus dem Nachlass der Eltern der Künstlerin, die auch unabhängig ihrer Herkunft aus der persönlichen Sphäre auf eine vergangene Zeit verweisen, in der andere Vorstellungen von Hygiene vorherrschten. Sie hängen aufgereiht an einer Wäscheleine und sind bestickt mit „Sic Transit“, einer Kurzform der bereits erläuterten Formel „Sic Transit Gloria Mundi“.
Hier öffnet sich ein ganzes Netz von Bezüglichkeiten und Assoziationen: Das Auswaschen von unerwünschten Flecken, die auf Gewesenes verweisen. Das Taschentuch, mit dem man zum Abschied winkt oder in das man hineinweint. Fotografien, die nach ihrer Entwicklung in der Dunkelkammer zum Trocknen aufgehängt werden, aufgereiht wie einzelne Erinnerungsfragmente an einem roten Faden.

Der aufgestickte Spruch ist dabei auch durchaus selbstbezüglich. Denn durch die Stickerei ist der ursprüngliche Zweck des Taschentuchs vergangen, so wie die damit verknüpfte Zeit mit ihren Menschen vergangen ist. Das Material jedoch ist geblieben und wurde durch seine Transformation künstlerisch angeeignet und damit dem beherrschenden Einfluß einer vergangenen Zeit entrissen. Die losen Fäden, die von den aufgestickten Buchstaben hängen, verweisen jedoch auf etwas Unabgeschlossenes, auf ein Gewebe aus Beziehungen, und vor allem auf die Möglichkeit des Anknüpfens.

Eine andere, minimalistische Gruppe von Arbeiten behandelt die bloße Zeit und den Versuch ihrer konkreten Materialisierung. Mit verschiedenen Garnen und Fäden hat Ursula Steuler jeweils eine Stunde lang Luftmaschen gehäkelt, entsprechend hat jeder daraus entstandene Faden eine andere Textur und Länge. Diese Arbeiten stammen aus Momenten bleierner, ereignisloser Zeit, mit der nichts anderes verknüpft werden kann, als eben ihr Verstreichen. Sie schaffen das Bewusstsein dafür, selbst dann am Leben zu sein, wenn sich nichts Erinnerungswürdiges ereignet.
Doch in dem man die Zeit in einem materialisierenden Prozess misst, sie ergreift und ihr einen sicht- und fühlbaren Körper gibt, so wird sie der Erinnerung und dem eigenen Leben einverleibt, das so um eine Stunde Erinnerung länger wird.

Einige solcher Stunde wiederum werden in dem Objekt „Neue Saiten“ mit einem Gegenstand kombiniert, der, ähnlich wie die Sammlung von Spazierstöcken, von dunklen Erinnerungen belastet ist: Eine alte Geige, deren Transformation durch die Bespannung mit Luftmaschenschnüren unmittelbar bevorzustehen scheint. Ihr Korpus wird zukünftig nicht mehr die Musik aus dem etablierten Repertoire bürgerlicher Erbauung erklingen lassen, sondern nur noch Resonanzraum für eine imaginierte Musik sein, die auf der selbst durchlebten, selbst durchwirkten und dadurch vor dem Nichts geretteten und einverleibten Lebenszeit gespielt wird.

Diese und etliche andere Exponate sind alle miteinander verknüpft durch ein Projekt, mit dem Ursula Steuler 17 Jahre einen roten Faden durch ihr gesamtes Werk gezogen hat, das mit der Möglichkeit zur Artikulation von Erinnerung zusammenhängt. Mit der schöpferischen Distanzierung und der Verdinglichung von Erinnerungsanlässen ist es möglich, sonst nur schwer fassbare oder schwer zu ertragende Erinnerungen sowohl im übertragenen wie im buchstäblichen Sinn zu „begreifen“ und damit mitteilbar zu machen. Sie erhalten eine stellvertretende benennbare Gestalt. Hiermit wird ein weiteres mal die Grenze vom Persönlichen zum Allgemeingültigen überschritten, denn durch die verdinglichte Umsetzung und die damit einhergehende Abstraktion einer Erfahrung, tritt ihre elementare Struktur zutage und offenbart ihren universellen Charakter, an den andere, über den Umweg der visuellen Metapher, anknüpfen können. Es entsteht ein Dialog.

Dieser Logik entsprechend war Ursula Steuler 17 Jahre lang mit einem alten
Die 7. Ausstellung im Jahresprogramm SEELENKLIMA 2021 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation        
Vernissage
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