Beide Zitate verweisen darauf, daß erst eine Distanzierung von den eigenen Gefühlen und Erinnerungen ermöglicht, unsere Befangenheit zu lösen, um mit dem Erinnerten schöpferisch umzugehen. So kann also auch ein Archiv von Memorabilia uns helfen, unseren Erinnerungen nicht mehr nur ausgesetzt zu sein, sondern sie spielerisch als Rohmaterial nutzen zu können, um Neues aus ihnen zutage zu fördern und ihren Bedeutungsgehalt zu verändern, um so schließlich Vergangenes verarbeiten zu können.
Genauso ist es möglich, Erinnerungen auszugraben, die von uns verdrängt worden sind, die uns aber dennoch in maskierter Form gesteuert haben, und die wir schließlich, sind sie einmal zutage gefördert und demaskiert, über-winden und artikulieren können.

Der eigenen Vergesslichkeit und des assoziativen Potenzials der Dinge gewahr, baut sich Ursula Steuler schon seit langer Zeit aktiv ein solches Archiv aus bedeutungstragenden Objekten auf. Dabei untersucht sie, ausgehend von ihrer persönlichen Geschichte, deren historischen Kontext, also die seelische Bedingtheit und Verfassung eines ganzen Landes im Wandel der Zeit, und schließlich die Gegebenheiten des Erlebens und des Erinnerns an sich und den damit unmittelbar verknüpften Umgang mit der Zeit.

Ein entscheidendes Momentum ist dabei immer die Transformation, die die Erinnerungen dabei unterlaufen. Am plastischsten kann das anhand einer Reihe von Spazierstöcken illustriert werden, die Ursula Steuler mit aufwendigen textilen Überzügen eingekleidet hat.
In ihrem persönlichen Assoziationsraum ist der Spazierstock auf das Engste mit ihrem Großvater und dessen Nazivergangenheit verknüpft. Doch an dieser Vergangenheit wurde nie gerührt, so wie auch das Nachkriegsdeutsch-land seine jüngste Geschichte so rasch wie möglich verdrängen wollte. So sagte Konrad Adenauer schon 1952 im Bundestag: „Ich meine, wir sollten jetzt mit der Naziriecherei mal Schluss machen. Denn verlassen Sie sich darauf: Wenn wir damit anfangen, weiß man nicht, wo es aufhört.
Statt also die Naziverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen, wurde diese schwärende Wunde einer unerträglichen Schuld zugedeckt mit dem Heimat- und Wohlstandskitsch der 50er Jahre, den erst die Studentenbewegung der 60er Jahre auf dem Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen begann.
Diese Kaschierung der Vergangenheit, die plüschige Gemütlichkeit mit Häkeldeckchen und röhrendem Hirschen, wird von Ursula Steuler aufgegriffen durch die gehäkelten Überzüge. Die Oberfläche erscheint harmlos und flauschig. Doch formgebend, gleich dem verdrängten Kern einer traumatischen Erinnerung, ist noch immer der harte Holzstock des niemals bloßgestellten, geschweige denn bestraften Nazis.

Zugleich wird mit der Handarbeit das reaktionäre Frauenbild aufgegriffen, das vom NS-Regime propagiert und in den 50er Jahren nahezu unverändert beibehalten worden ist. Doch wird es in einer schrillen und rebellischen Parodie gezeigt, denn die in braver Handarbeit gefertigten Hüllen, erinnern eher an die aufreizenden Kostüme einer Travestieshow. Sie zeigen einen verspielten Widerstandsgeist, der zwar noch nicht zu einer eigenen Form finden kann, aber den in ihm steckenden Kern durch Flamboyanz ins Lächerliche zieht.
Die 7. Ausstellung im Jahresprogramm SEELENKLIMA 2021 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation        
Vernissage
back
next
Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek