wurde auch außerhalb Europas gemacht. So schrieb der einflußreiche Zen-Meister Dogen Zenji in der ersten Hälfte des 13. Jhd. „Da ist keine Kluft zwischen dem Spirituellen und dem Weltlichen.“
Und schließlich, um wieder in der Gegenwart anzukommen. entdeckte die moderne Physik das vom Beobachter erschaffene Universum, in dem sich innere und äußere Wirklichkeit in vollständiger Kongruenz decken.

Kehren wir nun zurück zu dem Ratschlag, den Matthias Claudius seinem Sohn gab, und werfen wir einen entsprechenden Blick auf unser akutes Lebensumfeld und die Strategien, die sich die Menschen angeeignet haben, um damit umzugehen:

Der Mensch ist heute umschlossen von einem immer dichter werdenden Informationsgeflecht und immer aggressiver werdenden Appellen an seine Aufmerksamkeit, die Informationsmedien über uns ausgeschüttet, die sich selbst in einer rasanten Evolution befinden. Diese Flut von Informations-einheiten, dieses moderne „Geräusch auf der Gassen“ der Äußeren Welt kann massiv auf unsere Wahrnehmung einwirken.

Zum einen manipulieren die Medien selbst unsere Wahrnehmungsge-wohnheiten. Den Ursprung dieser Entwicklung sieht Marshall McLuhan in der Erfindung des Buchstabens (Die Gutenberg-Galaxis: Die Letter, 1962), dessen Effekt mit der Erfindung des Buchdrucks flächendeckend wirksam wurde und den visuellen Sinn auf Kosten der anderen Sinne in den kulturellen Mittelpunkt stellt. „Wenn sich die Verhältnisse der Sinne in irgendeiner Kultur ändern, wird das, was vorher klar war trüb werden, und was unklar oder trüb war wird durchsichtig werden.“

Zum anderen reagiert der post-industrielle Mensch mit einer verstärkten Filterung von Information. Er blendet alles, was ihm irrelevant erscheint, aus
seinem Wahrnehmungskontinuum aus, um sich auf das zu konzentrieren, was ihm, laut dem lokal gültigen sozialen Konsens und der aktuellen Ideologie der „Selbst-Optimierung“ als nützlich erscheint. Er trennt strikt zwischen einer äußeren öffentlichen Welt und einer privaten inneren Welt, die rigoros nach außen abgeschirmt wird.
Je mehr Eindrücke den Menschen bedrängen, desto rigoroser werden diese Filtermechanismen. Da es in der Großstadt, nahezu unmöglich geworden ist, dem äußeren „Geräusch in der Gassen“ auszuweichen, flüchtet der post-industrielle Mensch in der Regel in eine pseudo-private, virtuelle Wirklichkeit, gegenwärtig meist mit Hilfe eines Smartphones. (Die Inversion des Öffentlichen und Privaten, die sich den Grenzen dieser virtuellen Wirklichkeit stattfindet, sei hier zugunsten eines konventionellen Verständ-nisses von akut öffentlichem und akut privatem Handeln ausgespart.)
Wie ehemals die Schrift andere Sinne und Wahrnehmungsmuster verdrängt hat, so verdrängt auch der Bildschirm mit seiner deutlich stärkeren Immersion andere sinnliche Eindrücke.

An diesem Punkt kommen wir nun auf das mißverstandene Claudius-Zitat zurück: Auf die Aufforderung, sich dem „Geräusch“ zuzuwenden, die Filtermechanismen auszuschalten, mit denen man sich von dem akut Gegenwärtigen abschottet.
Hier wird auch die Ermahnung aus dem Thomas-Evangelium in einem umgekehrten und profanen Sinne bedeutsam: Wer nur nach innen blickt, aber nicht nach außen, „verfehlt das Ganze“.
Im Buddhismus wird diese Haltung, die sich dem Äußeren wie dem Inneren gleichermaßen zuwendet, mit dem Begriff der Achtsamkeit bezeichnet.
Wirft man also den Konsens mit seinen Schemata der Rezeption über Bord und öffnet sich vorurteilsfrei den Ereignissen der Äußeren Welt, wird im Vollzug bewußter Wahrnehmung ein neues Sehen und neues Hören, ein neues Erkennen der Welt möglich. So kann das „Geräusch“ zu einem bedeutsamen Ereignis werden - oder sogar zu Musik.

Vernissage
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