Aufgrund ihrer sozialen Natur hat sich diese Art der Konstituierung von Wirklichkeit auch in unserem Alltag durchgesetzt und beherrscht mit ihren Normen unsere Wahrnehmung. Der Konsens bestimmt, was für die Alltagsrealität relevant und deshalb „wahr“ ist.

Karl Popper schrieb in Die Logik der Forschung: „Die Theorie ist das Netz, das wir auswerfen, um die `Welt´ einzufangen - sie zu rationalisieren, zu erklären, zu beherrschen.“
Doch zum einen sind die Maschen eines jeden Netzes nur für bestimmt Fische geeignet, zum anderen fängt man mit einem Netz immer nur die Fische, nicht aber den Fluß.
In dem gleichen Sinne schrieb C.F. von Weizsäcker in Die biologische Basis der religiösen Erfahrung: „Wer die westliche Wissenschaft kennt, weiß, daß sie fast nur dasjenige empirisch zu Gesicht zu bekommen vermag, worauf sie theoretisch - wenigstens in der Begrifflichkeit der Fragestellung - vorbereitet ist.“

Die Dinge, die sich in der äußeren Welt abspielen, führen erst dann zu bedeutsamen und relevanten Wahrnehmungs-Ereignissen, wenn sie in unserem Bewußtsein eine begriffliche oder anders geartete strukturelle Entsprechung finden. Wir fangen nur das mit den Netzen unserer normierten Wahrnehmung, auf das wir vorbereitet sind.
So kann es geschehen, daß Menschen, die z.B. noch nie mit Neuer Musik oder Freejazz in Berührung gekommen sind, schlicht behaupten: „Das ist doch keine Musik!“
Denn sie leben in einem begrifflich-strukturellen Kontext, in dem der Konsens über das, was als „Musik“ gilt, sehr eng begrenzt ist. Erst wenn die Grenzen dieses Konsens´ überschritten werden, wenn die normierte Vorstellung von Musik überwunden wird und man sich erweiterten Beurteilungsschemata öffnet oder sie sogar gänzlich überwinden kann, kann das „Geräusch“ oder der „Lärm“ als Musik verstanden werden.
So sind beide Wege der Erkenntnis mit Mängeln behaftet, die sie sich gegenseitig zum Vorwurf machen. Der eine Weg ist nicht mitteilbar und überprüfbar, der andere Weg immer durch seine apriorische Natur eingeschränkt und deshalb unfähig, „das Ganze“ zu erfassen. Meist beansprucht jedoch jeder für sich, jeweils unter Berufung auf die Mängel des anderen, der einzig gangbare Weg der Erkenntnis zu sein.

Aber sind diese beiden Wege tatsächlich so gegensätzlich? Bereits zur Zeit ihres Ursprungs, als das Bewußtsein aus dem mythischen Denken in das wissenschaftlich-philosophische Denken einerseits und das mystische Denken andererseits trat, wurde deren eigentliche Einheit erkannt. In seinem Werk Über die Natur schrieb Heraklit:
„Zusammen gehört Ganzes und Nichtganzes, Übereinstimmendes und Verschiedenes, Einklang und Dissonanz, und aus Allem wird Eines und aus Einem Alles.“
Im Thomas-Evangelium, einem apokryphen Text der gnostischen Tradition, heißt es: „Wer das All erkennt, sich selbst aber verkennt, der verfehlt das Ganze.“
In der klassischen Hermetik und der eng damit verbundenen Alchimistischen Lehre ist die Übereinstimmung von der Inneren und der Äußeren Welt, die Entsprechung von Mikro- und Makrokosmos, die Analogie schließlich zum grundlegenden Prinzip erhoben. So schreibt Paracelsus: „Denn der Mensch hat in sich auch die Astra und das Gestirn so gut wie das obere Firmament. Diese Astra und das Gestirn liegen nun verborgen in dem `Mens´, das ist in des Menschen Gemüt.“
Indem die Alchimisten ihre chemischen Experimente durchführten, vollzogen sie nicht nur proto-wissenschaftliche Experimente, sondern vor allem erlebten sie den Abstieg und Aufstieg ihrer eigenen Seele im Bild der Materie; im Experiment durchlebten sie selbst die Phasen der Auflösung, Läuterung, Reifung und Vollendung - oder strebten es wenigstens an.
Diese Einsicht in die untrennbaren Einheit von innerer und äußerer Welt

Vernissage
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