Visuelle zu den haptischen und akustischen Qualitäten. Die Performerin adressierte mit ihrem Tun den Außenraum auf den Gehweg, wo an ihre Fenster gelockte Nachbarn und Passanten mit einbezogen wurden. Die Intensität, mit der Stein die vorhandenen aber meist übersehenen Gegenstände des Alltags zum Klingen brachte und mit ihrem Gesang verband, geht auf die Anregungen aus dem Theaterlaboratorium von Jerzy Grotowski in Warschau zurück. In der Wandsbeker Chaussee übertrug Kira Stein die von Grotowski geforderte Intensität der Begegnung von Schauspielern und Zuschauern auf die elementare Interaktion mit Dingen und Räumen, die sie mit ihren Tonfolgen aus dem Jetzt und Hier ihres Seins heraus begleitete, welche den Titel "Schubumkehr" klanglautlich in das Anagramm USCHKUMBREH verwandelten.  Im leuchtend roten Kleid barfuß gegen den Autostrom rufend lenkte sie die Aufmerksamkeit auf das so Banale wie Gewohnte, das in seiner Andersartigkeit selten beachtet wird und parallel zu den abendlich ausgestrahlten Fernsehprogrammen existiert. Wie nebenbei verlor der unstillbare Verkehrslärm seine Dominanz.


Auf eigene Gefahr: Den Körper erneut besiedeln

1.    Blockieren (Bewegung)

Zum Auftakt des zweiten Festivaltags blickte Lars Müller mit dem Vortrag "Gleich wird's Grün - Soziale Bewegung und performativer Protest" auf die Protestbewegung 1967/68 zurück. In Freiburg/Br. gab es zwar keine illustren Personen, die an der Schnittstelle von Kunst, politischer Bewegung und Medien agierten, wie es in  Berlin mit Dieter Kunzelmann der Fall war, trotzdem lebte der Protest auch in Freiburg von großer Unmittelbarkeit. "Gleich wird's Grün" hatte auch nichts mit der späteren Parteigründung zu tun, sondern meinte die Ampelphasen, die benutzt wurden, um die innerstädtischen Straßen mit Hilfe der Polizei zu blockieren. Mit ihrem Einschreiten brachte diese nach der Vorarbeit der Protestierenden schließlich selbst den Verkehr zum Erliegen. Derartige Aktionen brachten den Studenten Sympathien der Bürger ein, mit denen sie innerhalb kurzer Zeit eine Mehrheit für ihre Anliegen gewannen. Obwohl es zunächst "nur" um erschwingliche Fahrpreise im Öffentlichen Nahverkehr ging, kam es später zu generellen Debatten über Demokratie mit den bekannten Folgen.
2. Stürzen (Gravitation)

Die Aktion von Monica Pantel fand in einem benachbarten leerstehenden Laden statt, wo die Künstlerin einen Aspekt aufgriff, mit dem ihre männlichen Kollegen in den Body Works der 1970er für Aufsehen sorgten und die Auffassung vom Körper in der Kunst veränderten.

Untheatralisch und sachlich nahm Pantel verschiedene - teils akrobatisch anmutende - Positionen  zu einem Sockel ein. Sie legte sich auf einen Sockel und variierte das klassische Verhältnis des Körpers zur Basis. Das geschah auch, indem sie den Sockel der Länge nach waagerecht gegen die Wand presste, so dass die zuvor bäuchlings auf der kurzen Seite des Sockels liegende Performerin rein visuell um 90 Grad gedreht erschien, während die im Verhältnis zur Schwerkraft veränderte physische Belastung dem Körper vollkommen andere Aufgaben stellte.

In einer dritten Sequenz lehnte sich die Performerin mit dem Oberkörper gegen eine der langen Flächen des Quaders, um ihn gegen die Schwerkraft an die Wand gedrückt zu halten. Allein der Körperdruck hielt den Quader an der Wand und ließ ihn durch Variation ruckweise herunterrutschten. Der Körper wurde definitiv als Bremse eingesetzt, die der Schwerkraft kontrolliert entgegenwirkte, womit die Position des Körpers im Bezug auf den Sockel variierte.


Der erste und zweite Teil dieser Performance-Sequenz verführt Kunsthistoriker, darin aktionistische Variationen des Themas Figur und Sockel zu sehen(4). Diese Auffassung wird im dritten Teil durch die Verlegung der Achse in Frage gestellt. Lehnt sich der Körper an die Wand, erfordert die Wirkung der Schwerkraft auf Figur und Sockel den Einsatz der Muskelkraft, um eine Balance zu erzeugen. Es entstand das gekippte Bild einer Liegenden auf einem Sockel. Im Gegensatz zum Bild erforderte die Aktion den kontinuierlichen Krafteinsatz des Körpers, um diese Imagination aufrecht zu erhalten. Ohne die Wand würde der Bewegungsimpuls zu einer Vorwärtsbewegung, die sich in horizontaler Richtung entfaltet hätte. Hiermit käme die latente Bewegungsachse einer Performance (Tanz, Sport oder Theater) ins Spiel. Doch wird die Bewegungsrichtung zugunsten der Statik eines Bildes gestoppt, weil die  Aufmerksamkeit und
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4 vgl. hierzu auch Chris Burdens Aktion Sculpture in Three Parts (1974) Dazu J. L. Schröder: Naturwissenschaft, Hitze und Zeit / Science, Heat, and Time. Minimalismus und Body Art in den Stücken von Chris Burden, in: Chris Burden. Beyond the Limits. Ausstellungskatalog österreichisches Museum für angewandte Kunst, Wien und Cantz Verlag, Ostfildern 1996, S. 191-209, S. 200-204.