Dosierung der Kraft der vertikalen Bewegung, also der Wirkung zwischen Körper und Schwerkraft, gilt. Man könnte deshalb von einer durch skulpturale Aspekte gebremsten Choreographie sprechen. Auf diese Weise wird eine Blockade der achsialen Interaktion sichtbar gemacht, die  das Kräftespiel des Aufbaus von Plasik und Architektur auf der einen und Bewegung im Tanz und Theater auf der anderen Seite ausmachen.

Die Aktion von Pantel hält die Spannung zwischen diesen Künsten, ohne dass es sich dabei um Grenzüberschreitungen zwischen den Künsten handeln würde. Im Gegensatz zu der Auffassung, dass die Absicht der Performance-Art darin bestünde, intermediär zu agieren, zeigte Pantel eine Blockade. Man könnte auch sagen, dass sie die Grenzüberschreitung bis an ihre Grenze treibt, um die Grenzen zwischen den Künsten durch die Gravitation bestimmen zu lassen. Sie arbeitet sich jeweils an die kritische Marke heran, in der die Vertikalität von Plastik und Architektur in die Horizontalität der Bewegungen in Tanz und Theater übergeht und umgekehrt.

Der weitere Verlauf  von Pantels Performance mit einer Menge Latten, die in den Räumen eines leeren Ladenlokals vorgefundenen worden waren, offenbarte die Unmöglichkeit einer Grenzüberschreitung drastisch. Pantel lehnte ihren Körper gegen jeweils eine der horizontal gegen beide Wände der Raumecke gedrückte Latte, welche sie beidhändig mit nach vorn gestreckten Armen umgriff. Mit zusammengestellten Füßen - weit vor der Raumecke - testete sie die Grenze der Belastungsfähigkeit jeder Latte, die unter den verschiedenen Winkeln ihres Koerpers,  mit denen Pantel sich gegen die Latte lehnte,  federnd nachgab, bis sie zerbrach. Dabei wurde Pantels Körper durch Schrägstellung so stark der Schwerkraft ausgesetzt, dass er mit dem Bruch der Latte ungebremst gegen die Wand krachte, weil Pantels Hände im Griff gebunden blieben. Im Spiel mit Stabilität und Instabilität von Massen setzte sich minimalistisches Beharren auf der Eigenständigkeit von plastischer Kunst gegen tänzerische Bewegung durch.

Die vollständige Beschreibung aller 7 Teile der Aktion muss hier aus Platzgründen unterbleiben, doch soll noch der letzte Teil erwähnt werden, der die Aktion auf die Straße ausdehnte. Hier wurde mit den Sockeln und einer Latte, die zwischen die Stirn der aufrecht stehenden Performerin und der Häuserfassade geklemmt war, eine temporäre Sperrung des Gehwegs erreicht. Auch diese Übung ließ Aufgabenstellungen, wie sie aus der Body Art bekannt sind, wieder aufleben, ohne dass sie heute unter den in mehr als 3 Jahrzehnten veränderten Bedingungen abgenutzt erscheinen würden. Schließlich haben sich die Bedingungen für den Körper in einer damals nicht zu ahnenden Weise geändert. Zwar sind Relikte und Dokumente der Body Art inzwischen archiviert und museal konserviert worden und somit der physischen Erfahrung entzogen, doch zeigt sich heute - noch stärker wie damals - die Tendenz, physische Risiken der individuellen Verfügbarkeit zu entziehen. Man möchte physischen
Risiken unter dem Vorwand, Leben zu schützen, generell ausschalten, so dass ein Wiederaufleben der Body Art heute obszön empfunden werden würde, weil das dabei inszenierte physische Risiko auf medizinisch-experimenteller Ebene (Tier- und Menschenversuche, Crashtests) immer haeufiger simuliert wird. Dazu tragen minimal invasive Operationsmethoden der Medizin und immer genauere Abbildverfahren bei, die freilich u.a. auf der Grundlage eines in hauchdünne Scheiben geschnittenen hingerichteten amerikanischen Strafgefangenen gewonnen wurden. Ein gewünschter Effekt der Biopolitik ist die durch Szenarien angeheizte Furcht vor Epidemien, die einen geradezu panikartigen Hang zur Gesundhaltung hervorbringt, der dem medizinisch-pharmazeutischen Sektor exorbitante Gewinne sichert.

3. Springen um zu leben (Aufschlag)


Mit seinem öffentlichen Bericht betrat Holger Steen ein Grenzgebiet, das nur deshalb als Selbstversuch mit dem freien Fall betrachtet werden kann, weil er seinen Selbstmordversuch überlebt hat und mit künstlerischen Mitteln thematisiert. Steen erzählte die Geschichte seiner Depression mit all ihren Peinigungen und die Vorbereitungen zum Sprung aus dem Fenster, mit dem er sich aus dieser Lage zu befreien anschickte. Er erzählte frei und anschaulich mit einer schauspielerischen Gabe, die nur diejenigen unter den Anwesenden ahnen ließ, dass der Ich-Erzähler selbst der Akteur war, die seine Geschichte schon kannten. Er gab dieser unglaublichen Geschichte eine Plastizität, die das Zuhören zwingend machte. Dazu trug auch die Akribie bei, mit der er die Vorbereitungen zum Sprung traf. Diese gaben dem Selbstmordversuch gestalterische Elemente einer Installation, die um so unheimlicher wirkten, als sie sich letztendlich als lebensrettend erwiesen. Die Akribie seiner Darstellung machte aber auch nachvollziehbar, warum er sagen konnte, er wäre gesprungen, um zu überleben.


Vor dem Sprung band er sich die Beine zusammen und legte zuvor zwei Bretter kreuzfoermig uebereinanderauf den Boden vor das Fenster seiner Wohnung, die sich im dritten Stock befindet.  Diese Bretter fungierten als Zielkreuz und verminderten zugleich entscheidend - wie minimalistische Stoßdämpfer - die Wucht des Aufpralls. Was daraufhin folgte, war allerdings keine Performance, sondern Folge einer Depression, die er erst überwand, nachdem er den Sturz überlebt hatte. Mit mehrfachen Brüchen und zunächst querschnittsgelähmt, stellte sich nach einigen Wochen wieder Gefühl in den Beinen ein. So ist Steen einer der wenigen Menschen, die nicht nur über einen solchen Sturz Zeugnis ablegen können, sondern außerdem das seltene Glück einer Heilung von einer Querschnittslähmung – es beträgt 1:10.000 – erlebt hatten. Die Qual dieses Prozesses bildet sich in seinen Bewegungen ab. Jeder Schritt dieses fast zwei Meter gro§en Mannes wirkt bewusst und kontrolliert, als müssten zur Betätigung der Muskeln und Gelenke wohlüberlegte Signale durch den Körper geschickt werden. 
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirksamt Wandsbek
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