Thomas Piesbergen

Dualismus und Prozess
Gedanken zur Ausstellung „Der Unsichtbare Begleiter oder die Unbekannte“
von Sabine Mohr

In seinem Höhlengleichnis entwarf Platon eine Metapher der Wirklichkeit, in der er etliche philosophische Entwürfe und religiöse Konzepte, die seinerzeit an Kraft gewannen, bündelte, und in der ein bis heute wirksames Extrem der Weltbeschreibung seinen nachhaltigsten und plastischsten Ausdruck fand.

Platon zeichnete das hinlänglich bekannte Bild einer Welt der Erscheinungen, der wir ausgesetzt sind, die aber nur aus Schatten besteht, die von Figuren vor einem Feuer in unserem Rücken geworfen werden. Unsere Erfahrungswelt sei also nur eine Illusion, während die eigentlichen Dinge der Wirklichkeit die platonischen Urbilder seien, die im göttlichen Licht ihren Schatten werfen.

Das größere Konzept, das hinter dieser Vorstellung steht, nämlich eine Welt, die von einer jenseits der Welt befindlichen Kraft geschaffen wurde, eine Welt also, die von ihrem Schöpfer getrennt und  deshalb profan ist, begegnet uns in der Religions-geschichte erstmals mit den frühesten jüdischen Überlieferungen. Bis dahin wurde in allen bekannten Religionen der Welt das Göttliche immer als inhärenter Teil der materiellen Welt begriffen. Der Dualismus von Gott und Welt bedeutete also einen krassen Paradigmenwechsel in der Vorstellung des Verhältnisses von Geist und Materie, von Göttlichkeit und Welt.
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In der Folge Platons wurde das Konzept in der antiken Gnosis weiterentwickelt, später von Plotin und von Mani neu formuliert. Während im Neuplatonismus Plotins der reinen Materie die größte Gottesferne zugeschrieben wird2, verstehen die vom Zoroastrismus und Buddhismus beeinflußten Manichäer das Wesen der Materie schlechthin als das Reich der Finsternis.
Im Mittelalter gipfelte diese Tradition der Verneinung alles Weltlichen und Körperlichen in den radikalen Lehren der Katharer.

Zwar wurde dieser ins Radikale übersteigerte Dualismus schließlich von der Kirche zur Ketzerei erklärt und die Katharer von der Inquisition vernichtet, dennoch ist die Vorstellung von der geistlosen Materie und eines davon strikt getrennten, jenseitigen Gottes bis heute einer der Grundbausteine des westlichen Denkens geblieben.

Selbst in der zeitgenössischen Wissenschaft können wir dieses Denkschema wiederfinden. Anhand der Durchbrüche Einsteins und der Quantentheorie wurde eine Welt entworfen, die sich in ihrer Ganzheit nicht nur unseren Sinnen, sondern unserer linearen Logik vollständig entzieht. Die evolutionäre Erkenntnistheorie wiederum zementierte die Vorstellung von unserem Gehirn als einem Organ, das nur an einen kleinen Ausschnitt der Wirklichkeit angepaßt sei und niemals zu vollständiger Einsicht gelangen könne, während der radikale Konstruktivismus konstatiert, unsere Realität sei nur eine Konstruktion auf der Basis neuronaler Reflexe, die aus einer Wirklichkeit gespeist würden, über deren tatsächliche Qualität wir keinerlei Aussage treffen könnten4

Wenn Carlo Rovelli, einer der Mitbegründer der Quantenschleifengravitationstheorie, einem seiner einflußreichsten Bücher den Titel gibt: „Die Wirklichkeit, die nicht so ist, wie sie scheint“, drängt sich eine unmittelbare Rückbesinnung auf das Höhlengleichnis Platons auf. Selbst die Zeit, anhand derer wir unsere Wirklichkeit sinnstiftend in Ketten von Ursache und Wirkung gliedern, ist in Rovellis Modell nur noch ein sekundäres Merkmal, das emergent aus einem gequantelten Raum hervorgegangen ist5.

Dementsprechend ist die vorherrschende Zielsetzung der modernen Physik die Formulierung einer Weltformel, die alle meßbaren und beobachtbaren, derzeit aber noch nicht miteinander zu vereinbarenden Phänomene schließlich doch vereinen kann und damit ermöglicht, die endgültige Wahrheit hinter den trügerischen Erscheinungen zu erfassen. In der Sprache Platons entspräche das der Suche nach den Urbildern und der verursachenden Lichtquelle
.

Doch genauso gibt es Denkströmungen, die diesem Ansatz diametral entgegengesetzt sind, angefangen bei einer kategorischen Ablehnung der Metaphysik, wie wir sie von
1Joseph Campbell: Die Masken Gottes Bd. 3 - Mythologie des Westens. dtv, München 1996
2 Christoph Delius et al.: Die Geschichte der Philosophie. Von der Antike bis heute. Könemann, Köln, 2000
3 Alexander Böhlig: Die Gnosis: Der Manichäismus. Artemis & Winkler, München, 1995

4 Paul Watzlawick: Die erfundene Wirklichkeit – Wie wissen wir, was wir zu wissen glauben? Piper, München 1981
5 Carlo Rovelli: Die Wirklichkeit, die nicht so ist, wie sie scheint. Eine Reise in die Welt der Quantengravitation. Rowohlt, Reinbek 2016

Der 03. Beitrag zum Jahresprogramm SEELENKLIMA des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2021
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