Wann wird sich die Welt als Ganzes gegen die jährlich 1000 Milliarden Photos wehren, die sie umstellen? Sind Fake-News das Unkraut der großen Weltentwürfe? Können Menschen zulassen, dass in den Ritzen der schon 1000fach überschriebenen Wahrnehmung etwas unscheinbares Neues wächst?

In den Zwangszurichtungen in den Parks und Vorgärten aller Art ist ja oft ein Ritzenbewuchs oder eine als falsch erachtete Pflanze – man nannte das einst „Unkraut“ – so etwas wie eine Bildstörung. Und die wird mit versprühter Chemie und sogar zischenden kleinen Feuer-maschinen bekämpft.
Überhaupt „Unkraut“: Martina Ring zeigt gerne dessen widerständige, ja anarchistische Kraft. (Schon die Einladungskarte bebildert das bestens.). Vielleicht ist ja das freche Unkraut im städtischen Raum so etwas wie ein natürliches Graffiti: Unangemeldet, frei anders geplante Gestaltungen überschreibend und letztlich nicht von Dauer. Und in diesem Sinne gibt es inzwischen auch eine „Pflanzenguerilla“, die mit „Saatbomben“ wirft. Allerdings gibt es wie immer im richtigen Leben auch Pflanzen, die es mit Spontangewucher echt übertreiben. So der Riesen-Bärenklau, ein Doldenblütler und hochgiftiger invasiver Neophyt, bei dem alle Toleranz aufhört … obwohl der eigentlich sogar ganz hübsch ist.
Nebenbei: Wenn etwas Unkraut ist, was ist dann das Andere, das Gegenteil, das „Kraut“? Ist es Zufall, dass dies das Kurzwort für Sauerkraut ist und die angelsächsische Bezeichnung für uns gleichzeitig waldverliebte und ordnungssinnige Deutsche?


In der Beschäftigung mit dem Thema Regelgrün und Landschaftsgestaltung ist neben „Straßenbegleitgrün“ noch ein seltsames Wort zu finden: „Reichslandschaftsanwalt“. Der kümmerte sich im NS-Staat um die angemessene Einbettung der Autobahnen, der Wehrbauten oder auch beispielsweise des KZ Auschwitz in eine schön gestaltete und germanisiert bepflanzte Landschaft … der Herrschaftswille dieser Herrschaften umfasste wirklich alles.

Nun ist nicht alle Landschaftsarchitektur Lüge und Vergewaltigung. Dennoch ist gut zu verstehen, warum Martina Ring von der regelbrechenden Kraft aller Arten von „Wildwuchs“, Ritzenbewuchs und ähnlichen „Bildstörungen“ des schönen gepflegten Scheins begeistert ist. Sie betreibt auch gerne die „Resozialisierung des gemeinen Grüns“ … das  klingt nicht nur gut – es ist sogar fast ein Fachterminus für sich selbst organisierende Pflanzen-gemeinschaften auf Brachflächen … und es bedarf dabei keiner besonderen Phantasie, sich die Parallelen zur menschlichen Gesellschaft vorzustellen.

Nun gibt es ja inzwischen nicht nur zwei Alternativen - geplantes Grün und spontanes, wildes Grün - es gibt ja auch das neue Modell, regelhaft Wildes zu erlauben. Nur sind abgegrenzte Areale, auf denen ausdrücklich Spontanvegetation zugelassen wird, zwar irgendwie ganz gut, früher wäre das aber vermutlich „repressive Toleranz“ genannt worden.

Vom Balkonkasten bis zur Privatinsel sind alle Pflanzenzurichtungen immer auch ein Bild der Gesellschaft. Gärten haben schon deshalb eine meist enge Beziehung zur Herrschaft, weil sie viel Platz und viel Pflege brauchen, das heisst also in jeder Hinsicht viel Geld. Aber die von Martina Ring über ihre Sympathie für den Wildwuchs dennoch geschätzten großen Parks haben auch etwas demokratisches: Zu groß, um ausschließlich den Herrschern zu dienen, sind sie meist öffentlich, und im Wunsch, mit exotischen Pflanzen zu beeindrucken, haben sie in der Geschichte völlig neue Pflanzeneinbürgerungen und Pflanzen- partnerschaften bewirkt.

Auch ist der englische Landschaftsgarten oder ein diesen noch erweiterndes Konzept wie die „Ornamented Farm“ tatsächlich als Hilfe für die Natur, zu ihrem Selbstausdruck zu kommen zu bewerten (hiesiges Beispiel ist der Jenisch-Park). Man erinnere sich des berühmten englischen Gartenarchitekten Lancelot „Capability“ Brown, dessen Beiname daher rührte, dass er nach einem Ausritt durch die Ländereien der Großgrundbesitzer gewohnheitsmäßig erklärte, er sehe very große Capabilities – also eben keinen vorgefertigten Plan, sondern die dem Gegebenen innewohnenden Möglichkeiten zur Optimierung – selbst wenn das ein bisher nicht vorhandener See oder Hügel sein sollte. Das ist bei aller Suprematie gegenüber der Natur doch etwas anderes als die sonst oft erzwungene Unterordnung unter die menschliche Rationalität, wie es eben beim Straßenbegleitgrün und im geometrischen Barockgarten der Fall ist.

Präsentation
Vernissage
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