Ursula Büttner
Alles zertrümmert. Die „Operation Gomorrha“ als Wendepunkt in der Einstellung zum NS-Regime

„SCHNEISEN“ lautet das Leitthema des Vereins „Einstellungsraum“ in diesem Jahr. Gedacht ist an Schneisen der Erinnerung. Aber auch der Topos „Schneisen der Verwüstung“ drängt sich auf. Doch im Blick auf die Folgen der Großangriffsserie „Operation Gomorrha“, die Hamburg Ende Juli/ Anfang August 1943 traf, wäre sogar dieser dramatische Begriff zu harmlos. Die alliierten Bomber hinterließen riesige verwüstete Flächen. Eine „Schneise“ schlugen sie in anderer Hinsicht: Die Katastrophe bewirkte eine Zäsur in der Einstellung zum NS-Regime; die „Volksgemeinschaft“ begann, sich von der nationalsozialistischen Führung zu lösen. Vor allem darüber will ich hier berichten und damit auch eine „Schneise“ schlagen - in das Dickicht von populären und deshalb zählebigen Legenden. Ich möchte die Behauptung widerlegen, die Alliierten hätten durch ihre Luftangriffe die Deutschen mit den Machthabern wieder „zusammengebombt“.1
Die Vernichtung ganzer Städte oder großer Stadtteile, „Flächenbombardements“ mit dem Hauptziel, den Kriegswillen der Bevölkerung zu brechen, gehörten nach dem Ersten Weltkrieg auf allen Seiten zur strategischen Planung. Auf diese Weise hoffte man, eine Wiederholung des endlosen Stellungskrieges und der fürchterlichen Materialschlachten verhindern zu können. In einer geheimen deutschen Denkschrift hieß es im Mai 1933 in brutaler Offenheit: „Die Terrorisierung feindlicher Hauptstädte […] wird um so rascher zum moralischen Zusammenbruch führen, je schwächer die nationale Haltung eines Volkes ist.“ Und 1937 wurde das präzisiert: „Im künftigen Luftkrieg kommt es weniger darauf an, die Arsenale der wirtschaftlichen Technik zu zerstören, als vielmehr sie zu entvölkern. […] Die rücksichtslose Durchführung der
Bombenangriffe [wird] in der Bevölkerung den Schrecken bis zur Panik steigern können.“ Im Spanischen Bürgerkrieg und bei der Besetzung Polens und anderer Nachbarstaaten setzte die deutsche Führung diese Strategie bedenkenlos um. Auch in England argumentierte der Hauptverfechter des „moral bombing“, Lord Trenchard, daß solche Angriffe auf die Zivilbevölkerung 20mal wirkungsvoller seien als nur auf materielle Zerstörung zielende Attacken. Aber hier gab es mehr Widerspruch, und erst seit dem Sommer 1940 setzte sich die Konzeption durch, neben Rüstungszentren und Verkehrswegen mit Vorrang die deutschen
Städte großflächig zu bombardieren. Am 16. Dezember 1940 erfolgte der erste gezielte Angriff zur Zerstörung einer Stadt, Mannheim, als Vergeltung für die Bombardierung von Coventry. 1941 wurde die britische Luftwaffe in mehreren Direktiven endgültig auf das „moral bombing“ als Hauptziel festgelegt, und seit 1942 verfügte Großbritannien zusammen mit den USA, die am 11. Dezember 1941 in den Krieg eingetreten waren, über die dafür nötigen Flugzeugverbände. 33 Städte wurden in diesem Jahr, oft wiederholt, von britischen Bombern heimgesucht. Die deutsche Abwehr hatte immer weniger entgegenzusetzen. Was den Deutschen bevorstand, faßten die Alliierten auf der Konferenz von Casablanca im Januar 1943 noch einmal zusammen: Sie wollten den Bombenkrieg bis zur bedingungslosen Kapitulation Deutschlands mit äußerster Härte führen, um „die deutsche Wirtschaft, Industrie und Wehrmacht immer mehr […]  zu zerstören und die Moral des deutschen Volkes so sehr zu untergraben, daß seine Fähigkeit zum bewaffneten Widerstand“ schwindet.

Bei allen Kriegsplanungen war klar, daß Hamburg, das von England aus leicht zu erreichen war und sich durch den Anschluß Harburgs und Wilhelmsburgs 1937 zu einem wichtigen Rüstungsstandort entwickelt hatte, ein bevorzugtes Ziel der feindlichen Bomber sein würde. Trotzdem war für den Schutz der Bevölkerung fast nichts geschehen (im September 1939 nur für 0,4% Luftschutzplätze; 1940 für 3%). Manches konnte bis 1943 nachgeholt werden. Aber die Wucht und Ausdehnung der Angriffe bei der „Operation Gomorrha“ machten alle Vorsorgemaßnahmen und alle Schutzbemühungen der vielen Tausend Einsatzkräfte vergeblich. Sie haben in diesen Tagen sicher im Fernsehen viele Bilder von den grauenhaften Auswirkungen der Angriffe gesehen: der gewaltigen Feuersbrünste, der unüberschaubaren Trümmerflächen, ganzer Stadtteile, in denen nur noch die Gerippe von Häuserfassaden standen. Um Zeit zu sparen, führe ich deshalb keine Fotos vor, sondern nenne nur die wichtigsten Fakten: Bei vier Nacht- und zwei Tagesangriffen wurden zwischen dem 25. Juli und dem 3. August 1943 weite Teile Hamburgs in Schutt und Asche gelegt. Bei den Nachtangriffen waren jeweils etwa 740 Flugzeuge der Royal Air Force im Einsatz; etwa 300 amerikanische Bomber führten das Zerstörungswerk am Tage fort. Sie warfen insgesamt 8 ½ Tonnen Spreng- und Brandbomben ab. 14 000 gut ausgerüstete und vorbereitete Feuerwehrmänner, 12 000 Soldaten und 8000 Mann von von technischen Sondereinheiten konnten die Entstehung riesiger Flächenbrände in keiner der drei Angriffsnächte verhindern.
1 Vgl.: Ursula Büttner, Hamburgs Katastrophe im Bombenkrieg. Das „Unternehmen Gomorrha“ als politischer Wendepunkt, in: Gedenkstätte St. Nicolai, Ausstellungskatalog, Hamburg 2013; Ursula Büttner „Gomorrha“ und die Folgen. Der Bombenkrieg, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Hrsg.): Hamburg im „Dritten Reich“, Göttingen 2005, S. 613-632; als längere Studie mit detaillierten Quellennachweisen ferner: Ursula Büttner, „Gomorrha“: Hamburg im Bombenkrieg. Die Wirkung der Luftangriffe auf Bevölkerung und Wirtschaft, Hamburg 1993 (Veröffentlichung der Landeszentrale für politische Bildung).

Dokumentationsfotos
Freitag, 09.08.2013  18:00 - 21:00h
Gefördert durch die Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek
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