Ein Schabernack zu setzen, stellen und legen,

anlässlich der Ausstellung von Sabine Rehlich

von Nora Sdun



Auf der Internetseite Gutenberg.de gibt es 220 Treffer auf den suchenden Eintrag: Katheder. Das ist die Ausbeute, die in deutschsprachiger Literaturgeschichte zu fischen ist, allerdings nur für Schrifterzeugnisse, deren Rechte frei sind, deren Autoren also mindestens 70 Jahre tot sind. Etwa so lange befinden sich auch die Katheder bereits in Gefahr, abgeschafft zu werden. Die Reformpädagogik ist sogar noch älter, bisher allerdings eher mangelhaft durchgesetzt. Trotzdem wird kein Oberschüler, der momentan zur Schule muss, ohne zu zögern den Unterschied zwischen einem Katheder und einem Katheter erklären können.


Das ist natürlich eine Unterstellung. Die ungeheure Zahl an fehlerhaften Einträgen auf google, berechtigt aber zu der Annahme, dass ein - vor allem medizinisch praktisches - Ding, dem würdigen Katheder den Platz streitig macht. Man mag sich gar nicht so genau vorstellen, was das für Missverständnisse erzeugen kann, jedenfalls ist die Formulierung ex kathedra, die gottesstellvertreterliche Ansage in Glaubensfragen vom Papststuhl herab, akut durch einen Kalauer bedroht.

Vielleicht wählte Sabine Rehlich deshalb den Titel PODIUM für ihre Ausstellung, denn 'Podium' ist weiterhin unmissverständlich, allerdings beschreibt das Wort 'Podium' nur den Ort, an dem ein Katheder aufgestellt wird. Ein Pult, ein Redepult, an dem man natürlich auch schreiben oder lesen kann, aber eben vor allem sprechen und stehen, wie das Pult selbst auch steht und das, obwohl man den Ort seiner Materialisierung einen Lehrstuhl nennt.

Die Kathedra (der Sitz oder Lehrstuhl), ist seit der Antike das Symbol der Vollmacht eines öffentlichen Amtsträgers. Hier verwirren sich die Termini von 'sitzen' und 'stehen', hinzu kommt noch der Lehrgang oder der Leerlauf, in Seminaren, deren Lehrstuhlinhaber nicht in der Lage sind, die Hirne ihrer Studenten anzuregen.


Der Sitz, zum Beispiel ein Bischofssitz, bezeichnet eher einen Standort, denn einen Sitzplatz. Aber die Amtsvollmacht wird eben transportiert durch das Wort 'Sitz', denn es ist ein Herrscherthron, und um diesen herum, oder an diesem zu stehen, ist eigentlich etwas für Diener. Von einem solchen Sitz aus, findet lenken wie steuern* statt, egal ob man dabei sitzt oder steht. An Pulten und Kathedern steht man. Das hat viel mit dem Überblick, den man so hat, zu tun, spricht aber auch von einer gewissen körperlich, geistigen Unruhe, die einen sonst zu ständigem Aufspringen nötigen würde.

Also Sabine Rehlich hat hier Stehpulte aufgestellt mit Blick auf den brausenden Verkehr der Wandsbeker Chaussee. Was kann man zu Stehpulten noch sagen: sie sind Ehrfurcht gebietend, da stehende Leute einen Distinktionsgewinn vor liegenden haben, alldieweil bekannt ist, dass man im Stehen nicht schlafen kann, etwas, was die Liegenden nicht immer, aber meistens betreiben. Wach sein hat aus irgendwelchen Gründen ein höheres Ansehen, vor allem wach sein und sich nicht bewegen, wie Handwerker zu tun pflegen, eben nichts Handgreifliches tun, also lauern, warten, warten auf die Stille, die im Saal eintreten soll, warten aufs Christkind. Wartenden wird Respekt gezollt, da Wartende geduldig sein müssen, und das ist fast abgeschafft heute - dank schnurloser Telekommunikation wird sogar die kurze Frist, ob denn die Person x zum vereinbarten Treffpunkt erscheint, nervös und unruhig abgeklingelt...

Ja und da wartet man also und hält sich am Pult fest, dafür sind diese Pulte vor allem da, zum dran festhalten, um nicht zu schwanken, in seinem Entschluss zu warten. Woraufhin sich - wie zum Zeitvertreib -  sehr schöne Gedanken an dem Gestell der Stehpulte heraufranken. Ein Stehpult ist also so etwas wie eine Rankhilfe, eine Gedankenrankhilfe. Die Blüte bleibt unsichtbar, sie ist eine aus Gedanken am Pult aufgerankte, entwickelte Idee. Die Düngemittel für solche Blüte liegen meist als Papierzettel oben auf dem Pult, so auch hier. In Erwartung, verstanden zu werden, sonst aber teilnahmslos, wie Düngemittel immer teilnahmslos sind, denn Düngemittel sind keine Pädagogen. Anders als die Personen, die am Pult stehen, ist es den Düngemitteln gleich, ob man überdüngt ist, oder nährstoffarm verbleibt.

So sind auch diese Zettel zu verstehen, sie sind sich untereinander gleichgültig, der Leser muss sich selbst seine, in diesem Fall poetische, Düngemitteldosis bestimmen. Also Podien und Katheder sind Rankhilfen, und das Düngemittel für die rankenden Gedanken das jeweilige Material, was sich auf dem Pult befindet.

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* für mehr Information zu diesen beiden Begriffen beziehen Sie sich bitte auf das Jahresthema 2006 und auf die Texte in der Ausstellung Steuermann fass das Steuer an und Gesprächsaktion zum Wagenlenker.

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