in seinem Roman „Nostromo“ die gleiche Erkenntnis der Diskrepanz individueller Absichten und dem „Es gibt keinen Frieden und keine Ruhe bei der Entfaltung materieller Interessen. Sie haben ihre eigenen Gesetze und ihre eigene Gerechtigkeit. Aber sie gründen auf Nützlichkeit und sind inhuman; sie sind ohne Aufrichtigkeit, ihnen fehlt die Beständigkeit und die Kraft, die nur im moralischen Prinzip zu finden sind.“

Sobald sich die Energiepotenziale zahlreicher individueller Begehrlichkeiten zu einer Kapitalkraft summiert haben, koppelt sich diese Kraft von menschlichen Prinzipien ab und folgt nur noch ihrer inhärenten Logik: dem sinnfreien, inhumanen Wachstum, der materiellen Akkumulation

Ich möchte an dieser Stelle ein Sinnbild vorschlagen: Die Welt als ein gewaltiges, sich stets reorganisierendes Räderwerk, und die Menschen darin als kleine, um sich selbst rotierende Zahnräder, die kaum realisieren, zu welchen größeren Bewegungen sich die Summe ihrer individuellen Anstrengungen akkumuliert. Jeder kreist um sich selbst, um die eigenen Befindlichkeiten und Bedürfnisse, und nimmt nicht wahr, welche größeren Mechanismen und Ereignisverkettungen er in der weltumspannenden Maschinerie dadurch mit in Gang setzt.

Doch natürlich gibt es auch Menschen, die diese größeren, sich von den Individuen abkoppelnden Energieströme und Bewegungen wahrnehmen. Hier setzt der systemische Opportunismus an: in dem die vorhandenen Bewegungen erkannt, gebündelt und manipuliert werden, ist es Einzelnen möglich, wiederum ihre persönlichen Begehrlichkeiten zu befriedigen, sei es, um sich zu bereichern, sei es, um das Gefühl der Machtausübung zu spüren, sei es, um neurotischen Ängsten in einer faktischen Form entsprechen zu können.

So z.B. nutzen radikale Kräfte wie die AfD bisher nicht klar artikuliertes Unbehagen, die sog. Politik-Verdrossenheit und irrationale, xenophobe Ängste als Ressourcen für ihre eigenen Zwecke; sie bündeln und kanalisieren sie und nutzen die so kanalisierten gesellschaftlichen Kräfte für ihre neurotischen, menschenfeindlichen Ziele.

Wie und wo die gebündelte und umgeleitete Kraft aber fortwirkt, sobald sie den Horizont dieser systemischen Opportunisten verlässt und in dem großen Räderwerk weitere, meist schädliche Bewegungen in Gang setzt, entzieht sich entweder der Auffassungsgabe oder Aufmerksamkeit der Funktionäre in Politik und Wirtschaft, deren Denken sich meist nur innerhalb des von ihnen gewählten Wirklichkeitsausschnitts abspielt, oder, was moralisch als
weitaus bedenklicher zu bewerten ist, sie wird gezielt aus dem Sichtfeld der Allgemeinheit geleitet, um die Negativauswirkung unsichtbar zu machen, wie es der Soziologe Stephan Lessenich in seinen Arbeiten zu „Externalisierungsgesellschaft“ nachdrücklich beschreibt.

Doch in dem Moment, in dem größere gesellschaftliche Bewegungen auf solche Weise zu individuellen Zwecken mißbraucht werden, ergibt sich zwangsläufig, daß die Absichten einzelner sich über die Absichten vieler hinwegsetzen, sie vereiteln, oder sogar auf Kosten von Gesundheit und Leben einzelner durchgesetzt werden. Hier wiederum können Gegenbewegungen entstehen, die ihrerseits von systemischen Opportunisten für ihre persönlichen Zwecke kanalisiert und mißbraucht werden können. Vor diesem Hintergrund kann man den gewalttätigen Islamismus als eine von systemischen Opportunisten kanalisierte Gegenreaktion auf westlichen Kultursuprematismus verstehen, der seinerseits im Kern natürlich vor allem ökonomisch motiviert ist.

So sehen wir verschiedene sozio-ökonomische Komplexe, die, manipuliert von systemischen Opportunisten, alles daran setzen, ihre Effektivität zu erhöhen, um weiter zu wachsen, sich gegen andere Komplexe durchzusetzen, ihnen die eigenen Bewegungsmuster und Strukturen aufzuzwingen, um sie sich schließlich einzuverleiben. Jede Seite probiert dabei immer mehr Energie, mehr Kapital, mehr Durchsetzungsvermögen, mehr Kraft in das System einzubringen.

In der Physik wird die Kraft, die Körper in Rotation versetzt als „Drehmoment“ bezeichnet. Je  stärker die einwirkende Kraft, desto höher das Drehmoment, desto schneller die Rotation, desto höher die Fliehkraft, die auf die in Rotation versetzten Körper einwirkt.

Übertragen wir diesen Zusammenhang auf das Bild der Welt als ein sich selbst organisierendes Räderwerk bedeutet das: Je stärker materielle Interessen und Kapital, desto größer wird die Kraft, die unvorhergesehen und unkontrollierbar auf andere Teile des Räderwerks wirkt. Dadurch wachsen die Gefahr der Selbstzerstörung durch Überlastung und Entropie und die Fliehkraft, die in diesen Regionen des Räderwerks zu wirken beginnt.

Übertragen auf reale Zusammenhänge sehen wir Fluchtursachen entstehen: vom Menschen verursachte klimatische Katastrophen, zu Glaubenskriegen transformierte Wirtschaftskriege, Vertreibung, Genozid.
Die 9. Ausstellung zum Jahresprogramm DREHMOMENT, 2017 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.

Präsentation
Vernissage mit Performances
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