„Ich weiß auch noch, dass ich eine Plastikkette mit Kitsch-Anhänger trug, die mir die Tochter eines Brieffreundes aus den USA geschickt hatte, als Dankeschön für ein Bild, das sie sich gewünscht hatte.
 Die Figur in dieser Zeichnung sah dem Sänger dieser Band hier sehr ähnlich.“
Nichts von alledem sieht man in den Projektionen. Wir sehen auch keine Wiedergabe des Konzerts, sondern befinden uns in der Projektion einer Erzählerin, sind von ihrer Erzählung und damit in ihrem projektiven Gedankenstrom an Erinnerungen gefangen, weil unser direktes Bedürfnis nach orientierender Artikulation auf die Schrift und damit ihre Erzählung fixiert ist.

Wir sind damit immer schon zum Komplizen einer Bildung des mit der Erzählerin gemeinsam zu bildenden Archivs geworden, das wir jedoch nicht aktiv mitbilden, sondern in dem wir als Betrachter vollkommen funktionalisiert werden, als Authentifizierungsstützen im realen Raum – da, wo das andere kleine Monster einer überholten Technik steht: der mp3-Player, der damit zur Authentifizierung der Erzählung beizutragen scheint, als stummer Zeuge des einst Gewesenen. In diesem Raum der Bestätigung steht auch der Betrachter als stummer Zeuge.

Einerseits wird erzählt, dass dieses Video von ihrer Mutter aufgenommen wurde, also von einem Dritten, der damit faktisch ja ein gemeinsames Archiv der Erinnerung mit der Erzählerin aufgebaut hat, auf die beide in Erzählungen zurückgreifen können und für die der Film als Zeugenschaft fungieren kann. Demgegenüber steht andererseits in der Erzählung selbst jene damit andere Authentifizierung, sich von einer gemeinsamen Erinnerung zu distinguieren, weil es in den Bildern nicht vorkommen kann.
„Ich war in einer weißen Hose und in einem weißen Hemd unterwegs und habe ziemlich im
Dunkeln geleuchtet. 
Das Outfit war aus mehreren Gründen mutig:
 Einmal tragen die meisten Fans solcher Bands prinzipiell Schwarz.
Und dann hatte ich meine Tage.
 Und ziemliche Schmerzen. 
Und hatte erst sechs Stunden vorher den Umgang mit Tampons gelernt“.

Körperlichen Schmerz kann man faktisch zumindest nicht teilen, es sei denn man projiziert auf jemanden. Schmerz ist aber dann nicht real übertragen, er ist wie der Körper selbst an einen absoluten Ort gebunden, den mein Körper einnimmt. Dies entspricht einer Authentifizierungs-strategie, die gerade gegen die Bildung eines gemeinsamen Erzählarchivs steht, welche die das Konzert filmende Mutter jedoch konstruiert hat. Zugleich wird aber der Leser/Beobachter eingeweiht in die Erzählung, da der Schmerz nur ihm mitgeteilt wird. Wir sind gerade dadurch


erst recht in die Projektion integriert, je mehr Authentifizierungsstrategien auftauchen, die auf ein Jenseits der Erzählung im realen Raum deuten, das angeblich nicht durch unsere Projektion gesteuert werden kann und damit sich der Manipulation eines erzählenden Subjektes scheinbar entzieht, faktisch hier aber in die Manipulation des subjektiven Erinne-rungsstroms der Erzählerin hineingezogen wird. Der Betrachter verbindet also die beiden paradoxen, polar zueinander ausgerichteten Authentifizierungsstrategien der erzählten Repräsentation des Raumes im Raum der Repräsentation.

Auf der Couch des Psychoanalytikers wird der Zugang zur Subjektivität durch Erzählen gefunden. Der Erzählende verliert sich. Die Technik der Erzählung soll die Kontrolle des Subjekts im Namen der Wahrheit ausschließen. Erzählung wird als Authentifizierungsstrategie des Subjekts und seiner Abhängigkeit von Körper genutzt. Aber mit Erzählungen kann man ebenso Subjektivität simulieren. Freud berichtete selbst, dass es in der Psychoanalyse bewanderte Patienten gab, die ihn immer wieder hinters Licht führten, weil sie die Technik und Codes der Psychoanalyse kannten. Das war eine Authentifizierungsstrategie, welche die Kontrolle des Arztes kontrollierte. Es ist die andere Technik der Authentifizierung des narrativen Subjektes, das sich als Subjekt gegen die Kontrollgesellschaft mit einer ihr eigenen Narration stemmt. Eben die beiden Richtungen der Integration und der Distinktion sind damit dissoziative Authentifizie-rungsstrategien des Subjekts. Beide schließen sich aus, bilden aber erst durch moderne reproduktive Medien eine Einheit, mit der sich das Subjekt in die Medien und diese in das Subjekt einschreibt.

Denn hier liegt auch der Unterschied von Zitat und Wiederholbarkeit in der Schrift und durch reproduktive Medien. Ein geschriebenes Zitat setzt immer die Kompetenz des Schreibens voraus. Die technischen Medien der Reproduktion können gerade die Kompetenz einer
Codierung vollkommen umgehen. Ich muss nicht den Hyptertext der Computersprache verstehen, um als DJ einen Sound durch reine Wiederholung des zitierten Sounds herzustellen. Damit wird deutlich, dass die beiden Authentifizierungstechniken in ihrer polaren Tendenz der Distinktion und Integration durch moderne reproduktive Medien erst in eine polare Einheit gebracht werden, welche die schizoide Polarität steigern kann: Die private Nutzung einer Wiederholbarkeit zielt auf Distinktion gegen eben jene sozial integrativen Veranstaltungen wie Live-Konzerte und Spiel-Conventions, um in ihnen umso radikaler zu einem anderen Zeitpunkt wieder als Steigerung eines kollektiven Erlebnis einzugehen und vice versa. Spirale der Akkumulation.


Vernissage
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