Mythen waren Erzählungen, die gerade verhindern, dass Subjekte eine abweichende Stellung in diesen Erzählungen einnehmen können. Jede Akkumulation an Narrativen wird damit verhindert. Als solche sind sie Authentifizierungsstrategien einer vorgegebenen Politik, eines Herrschers, oder auch eines Philosophen wie eben Platon, der immer dann, wenn er mit seiner angeblich so klaren, den jenseitigen Ideen verpflichteten Logik nicht weiterkam, seinen Lesern mit einem ‚mython legein’, der Geschichtenerzählung glaubte weiterzuhelfen, was einem Verbot gleichkam, nicht an die Ideen zu glauben.


Aber gerade dort, wo seit der Fotografie die unbegrenzte Reproduktion eines Zeichens möglich ist, steigt indes der Sinn für die Abweichung, da die performative Umsetzung von Wiederholungen durch mediale Repräsentation ins Narrativ, was man zu sehen hat, niemals eine identische Reproduktion des Gleichen ist. Die Fotografie stützt also einerseits die Dauer und Festigkeit eines Narrativs, das dem Subjekt Abweichungen bewusst macht, stellt zugleich es aber auch in Frage, weil dieser Glauben so radikal werden kann, dass er die Vorstellung einer Abweichung unmöglich zu machen scheint. Das wird im 19. Jahrhundert an den Diskursen zur Fotografie ziemlich deutlich, die permanent damit hadern, dass das Subjekt radikal objektiviert werde, so dass die Fotografie eher in die Wissenschaft gehöre als in die Kunst. Fotografie wurde daher auch bis heute als erste Bildung eines Familienarchivs genutzt, welches der Authentifizierung des Subjekts in den Verwandtschaftsnetzen diente.


Geht also die mythische Narration auf die Verhinderung einer individuellen Abweichung und Willkür, um dem Subjekt damit die Authentifizierung im Sinne einer objektiven Bestätigung zu geben, eben als Ausschaltung der subjektiven Willkür, so ist die Zugänglichkeit der Fotografie für möglichst breite soziale Schichten eine Vernetzung, die eine andere Authentifizierungs-strategie des Subjekts entstehen lässt, welche die Sicherung per Dauer und Objektivierung aufbaut und zugleich in Frage stellt. Erst mit modernen Medien ist diese in sich dissoziative Strategie möglich, weil die reproduktive Wiederholung einer Erzählung in der Zeit nicht mehr an eine kollektive Erinnerung und damit an einen sozial festgelegten Ort gebunden sein muss. Im Gegensatz zu Walter Benjamin, der noch meinte, die modernen Medien brächten die Massen einander näher, muss man heute sagen, sie haben vielmehr die Funktion zunehmend durch
Differenzierung zu massieren: Steigerung polarer Authentifizierungsstrategien in der Einheit der Narrativität, Distinktion und Vereinheitlichung zugleich – das ist jene dissoziative Doppelung der Subjektivität, an der die narrativen Installationen Heissenbergs sich entlang bewegen.

Kleines Monster
ist die Übersetzung für den Titel eines Songs der japanischen Band Plastic Tree. Wenn man in den dunklen Raum der gleichnamigen Installation eintritt, hört man ein dumpfes Rauschen und sieht einen einzigen Lichtpunkt, der nach Gewöhnung des Auges an den Raum als mp3-Player sichtbar wird. Schon der Titel Kleines Monster spielt hier mit der dissoziativen Polarität der Räume: mit dem intradiegetischen Raum der Erzählung, wo die Band den Song Kleines Monster spielt, den man aber nicht hört, und dem extradiegetischen Raum des Zuschauers, wo sich der mp3-Player als kleines Monster befindet, im Raum der Körper, die repräsentieren, sei es durch den Dingkörper des Mediums, sei es durch den Leib des Betrachters. Es gibt also einen Raum der Repräsentation und die Repräsentation des Raumes – eine extrem wichtige Differenz, von der wir gleich sehen werden, das verschwinden wird, was seltsam klingen mag, denn schließlich werden wir ja nicht zu reinen Geistern -
oder vielleicht doch in einem schwarzen Raum, in dem wir keine Richtung erkennen außer den Lichtpunkt des vor uns liegenden Bildschirms mit dem hypnotisierenden Grundrauschen, das genauso wenig differenziert ist?

Auf dem Bildschirm verschwommene Bilder in slow motion, die durch einen mitlaufenden Text erst als die Erinnerung an einen Auftritt der japanischen Band im Berliner Magnetclub vor gerade mal 300 Leuten decodierbar werden, während dieselbe Band in Japan vor einem Massen-publikum mit mehreren zehntausend Zuschauern auftritt. Ein besonderes Ereignis, das aber nicht wirklich so dokumentiert wird. Wir erfahren es durch die mitlaufende Schrift auf den Bildern, also durch die Erzählung und nicht die Bilder oder durch den Sound. Beim ersten Eintritt in den Installationsraum wird das Auge automatisch von der Schrift und Erzählung der Erinnerung angesaugt, weil die unklaren Bilder in unserem Kopf erst mit Bedeutung gefüllt werden, zumal man sich in einem dark room des unartikulierten Grundrauschens befindet und die Schrift in schneller Abfolge eine Konzentration erfordert, welche die Bilder in slow motion nicht einklagen.


Vernissage
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