die virtuellen Objekte verhalten sich immer gleich und durch die Repetition der immer gleichen Routinen lernt man schließlich das Spiel zu beherrschen.

In der digitalen Welt ist es möglich, alle Situationen zu resetten, das System zu rebooten, um noch einmal von vorne zu beginnen. Die unumkehrbare Linearität des Zeitpfeils, das Fließende scheint aufgehoben und die fatale Besessenheit des Großen Gatsby scheint auf einmal nicht mehr vergeblich zu sein, wenn er ausruft: „Die Vergangenheit nicht wiederholen?“(…)“Aber natürlich kann man das!“

Inzwischen ist das Bedürfnis des Menschen, sich in einer prothetischen Wirklichkeit ein idealisiertes Spiegelbild zu schaffen, in eine neue Phase getreten. Das neue goldene Kalb der Software-Entwicklung heißt nicht mehr Simulation, sondern Mustererkennung.
Nicht mehr der Mensch ist es, der dem Computer die Muster, die er zu erkennen geglaubt hat, einprogrammiert, sondern die Computer sollen selbsttätig in der Lage sein, in der Außenwelt Muster aufzuspüren und sie miteinander abzugleichen.
Kameras und Bildverwaltungsprogramme verfügen über selbsttätige Gesichtserkennung. Facebook und andere Dienste verknüpfen selbsttätig Gesichter mit den dazugehörigen Namen. Derzeit sollen die Mustererkennungsroutinen auf Facebook soweit verfeinert werden, daß sie imstande sind, nicht nur Gegenstände wie Stühle, Kaffeetassen oder Fahrräder auf hochgeladenen Photos zu erkennen, sondern auch sie den jeweiligen Marken und Herstellern zuzuordnen.

Dahinter stecken zwei maßgebliche Motive:

Zum einen soll die vergangene, individuell erlebte Wirklichkeit kontrollierbar gemacht werden, um sie idealisierten, normativen Mustern anzupassen. Wenn z.B. ein zu fotografierender Mensch sich selbst einem eingebauten Smile Detector hartnäckig verweigert, ist es ohne weiteres möglich, ihn nachträglich mit Hilfe einer App zum Lächeln zu bringen.


Wenn das Wetter im Urlaub schlecht gewesen ist, erkennt der Computer, was alles zum Grau des verhangenen Himmel gehört und macht es strahlend blau.
Es wird sicher auch nicht mehr lange dauern, daß er aus Aldi-Sonnenbrillen Ray-Ban-Modelle macht und die entsprechenden Reflexe auf die Gläser zaubert, daß er Zellulitis und Bierwampen selbsttätig korrigiert, den Busen und den Bizeps vergrößert und so eine idealtypisch-normierte Wirklichkeit schafft, mit der sich der User einer Weltöffentlichkeit zu präsentieren getraut.

Auf der anderen Seite stehen natürlich die eiskalt kalkulierten ökonomischen Interessen der Datenkrake, die das Konsumverhalten der User bis in die intimsten Winkel ausleuchten möchte, um sie zu kontrollieren und zu einer perfekt auszubeutenden Resource zu degradieren.

In beiden Fällen aber ist der Glaube an konsistente, sich stets wiederholende Muster wirksam, sowie das starke Bedürfnis, ein Spiegelbild zu schaffen, das unsere Wirklichkeit deutlicher, schöner, verständlicher und kontrollierbarer wiedergibt, als sie ohne diese Prothese der Wirklichkeit tatsächlich ist.

In seinen bisherigen Arbeiten hat sich Wonek Lee immer wieder intensiv mit diesen Problemen der Normierung über den Umweg durch eine digitale Gegenwelt beschäftig sowie mit der temporären Migration der Identität zwischen der analogen und der digitalen Sphäre; und wie andere Künstler, die mit ihrem Material umgehen und durch Experimente zu neuen formalen Lösungen kommen, entwickelte er, ausgehend vom Medium und dessen Auswir-kungen auf unsere kulturellen Routinen, seine künstlerischen Konzepte.

Die Genesis der Arbeit „p.o.r.“, oder auch als „p.o.v.“ zu lesen (also Persistence of Vison oder Persistence of Remembrance) hat jedoch einen ganz anders gearteten Ausgangspunkt:

Als er im Februar 2017 in China war, unternahm er eine fünfstündige Wanderung um den Westsee zwischen Shanghai und Hangzhou. Als er nach 4 Stunden eine Pause machte, um auszuruhen, überkam ihn, ausgelöst durch den Schlüsselreiz des eigentlich gewöhnlichen Seegeruchs, eine ungewöhnlich heftige Erinnerung, ein akuter Flashback: Er erlebte bis ins Detail zum zweitenmal den Moment, als er zwei Monate zuvor seiner Freundin auf einem Boot inmitten des Westsees den Verlobungsring schenkte. Alle Einzelheiten kehrten in diesem Erinnerungsereignis wieder, bis hin zu der damals empfundenen Kälte und den Gesichtszügen des Bootsführers.

Aus subjektiver Sicht erlebte er etwas, das sich jeder objektiven Vernunft entzieht, nämlich einen Moment, in dem sich Vergangenheit und Gegenwart berühren, also das bewußtlos fließende Körperlich-Zeitliche und das ordnende Erinnerungsgedächtnis (H. Bergson) miteinander verschmelzen, als seien sie durch ein die Raumzeit überwindendes Wurmloch miteinander verbunden.

Einführung: Dr. Thomas J. Piesbergen
Vernissage
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