während der liminalen „heiligen Tage“ von den gewohnten Pflichten und Handlungsmustern entbunden, die sonst mit der Sphäre der Arbeit assoziiert sind. Seine Entscheidungen sind nun individuelle Entscheidungen und er agiert nicht mehr als Teil einer Hierarchie.
Doch im Gegensatz zu traditionellen, vorindustriellen Stammeskulturen, hat diese Trennung in unserem postindustriellen Kontext keine natürlichen und notwendigen Anlässe mehr. Sie ist willkürlich konstruiert - deshalb nicht als liminal, sondern nur als liminoid anzusprechen.

Betrachten wir uns den Menschen, der heutzutage solche liminoiden Prozesse durchläuft, im Vergleich zu dem Menschen in vorindustriellen, symbolisch straff strukturierten Kulturen:
Die vorindustrielle Gesellschaft ist vor allem geprägt durch die Reproduktion ihrer Strukturen, was Claude Levi-Strauss dazu bewogen hat, seine Theorie des Strukturalismus zu entwickeln. Ihr alltäglicher Zustand ist ein Zustand struktureller Sicherheit und Konstanz. Die liminalen Phasen hingegen durchbrechen diese Sicherheit und führen den Menschen in eine unstete Zone, in der soziale Spielre- geln weitgehend aufgehoben sind.
Der Mensch in der post-industriellen Gesellschaft befindet sich hingegen nicht in einer symbolisch-strukturellen Sicherheit, wie sie vom Strukturalismus beschrieben wird, sondern in einer ständigen Progression, in der sein Status permanent gefährdet ist. Repräsentiert wird diese gesellschaftliche Eingebundenheit durch die Theorie des Historischen Materialismus.

Das heißt: wenn der post-industrielle Mensch in eine liminoide Phase eintritt, begibt er sich aus einem Zustand der Unsicherheit und unterschwelligen Angst in einen Zustand der Unsicherheit! In einen Zustand, in dem er nicht nur frei ist von seinen Pflichten, sondern auch frei, sich zu entscheiden; in einen Zustand, in dem er zwischen unzähligen Optionen zu wählen hat und eine Konfrontation mit dem Unbekannten, mit dem Fremden möglich wird, ebenso wie mit der eigenen Utopie und ihren eskapistischen Aspekten.

In diesem Zusammenhang kam ich bei einer vorbereitenden Begegnung mit Jann Launer auf den utopischen Autoren und Philosophen Stanislaw Lem zu sprechen. Ein Topos in den Werken von Lem ist die Unfähigkeit, das wirklich Fremde zu begreifen. Lem kam auf dem philosophischen und literarischen Weg zu dem gleichen Ergebnis wie die Evolutionäre Erkenntnistheorie: Daß unsere Gehirne und Begriffssysteme nicht in der Lage sind, etwas zu dechiffrieren, für das sie nicht geschaffen worden sind, bzw. für das sie sich nicht entwickelt haben. Und das, was dem Menschen fremd und unverständlich ist, was sich seiner Kontrolle entzieht, macht ihm in der Regel Angst.

An dieser Stelle tritt also dem eskapistischen Wunsch, der alltäglichen Last von Unsicherheit und Pflicht temporär zu entkommen, die Neophobie gegenüber, sowie der horror vacui, die Angst vor dem weißen Blatt Papier, die Angst vor dem möglicherweise unkontrollierbaren Neuen, die Angst, von den ungezählten Möglich-keiten, seine freie Zeit zu nutzen, vielleicht die falsche zu wählen, die Angst, vor den unvorhersehbaren Konsequenzen dieser eigenen Entscheidung und wahr- scheinlich auch die unterschwellige Angst, sich selbst ungefiltert zu begegnen.


Mit diesem ganzen Bündel an Ängsten sieht sich der post-industrielle, verunsicherte Mensch, der sich durch Freizeit und „Urlaubmachen“ in einen Zustand des Liminoiden begibt, in der Regel konfrontiert:
Entweder sieht er sich einer Fremde gegenüber, die ihn einschüchtert, da er sie mangels Verständnisses und Verständigung nicht kontrollieren kann, oder er ist wie gelähmt angesichts der nahezu unendlich vielen möglichen Entscheidungen, die er treffen könnte.

Mit diesem Zwiespalt eskapistischer Wünsche einerseits und andererseits der Angst, sich in eine wirkliche Fremde zu begeben, mit diesem Zustand „auf der Schwelle“ korrespondieren die Arbeiten Jann Launers.

Wir sehen einen Bildschirm, auf dem ein Radiergummi klebt. Dahinter bewegt sich
Die 02. Ausstellung im Jahresprogramm Park&Ride des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
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