Ritualisierte Handlungen zielen nicht auf einen zukünftigen, bisher noch nicht da gewesenen Effekt ab, sondern fokussieren sich auf die unmittelbare Beschaffenheit der Gegenwart und deren stete Erneuerung. Alternative, effektivere Wege zum Ziel sind irrelevant, da sie nicht der Struktur des zyklischen, stets gegenwärtigen Mythos entsprechen.

Das Zeitverständnis innerhalb historischer Gesellschaften widerspricht diesen Vorstellungen total. Die Zeit, die menschliche Gesellschaft, der Zustand unserer Welt werden nicht als etwas Zyklisches begriffen, sondern als etwas sich linear und stetig Wandelndes.

Deutliche Beispiele finden wir bereits in den großen Buchreligionen, deren Verständnis der Zeit ein historisches und teleologisches ist: Die Dauer der Welt nimmt ihren Anfang in einem Schöpfungsakt, erstreckt sich über lange Genealogien und Ereignisse, die als faktisch und historisch angenommen werden, und mündet schließlich in einem dann wieder überzeitlichen Paradies.
Thomas von Aquin übertrug dieses Konzept der langsamen Entwicklung vom Sündenfall bis zum Eingang ins Paradies auf den Menschen selbst und begriff ihn erstmals als ein im Wandel befindliches Wesen, das sich auf einer Stufe zwischen Tier und Engel befindet. Hier begegnet uns bereits das Motiv des mangelhaften Menschen, dessen Aufgabe es ist, sich zu einem besseren Selbst hin zu entwickeln.

Den größten und nachhaltigsten Paradigmenwechsel dieses Prozesses der „Historisierung“ hat Charles Darwin mit seiner „Entstehung der Arten“ von 1859 ausgelöst. Mit seiner Theorie hat er das Primat der Anpassung und der damit einhergehenden Optimierung endgültig in die Vorstellung von Mensch und Gesellschaft eingeführt und auf diesem Weg auch die zentrale Bedeutung des „Fortschritts“ bei der Bewertung gesellschaftlicher Sachverhalte etabliert.
Nichts, was der Mensch hervorbringt, gilt uns mehr als vollkommen, alles als verbesse-rungswürdig und verbesserungsfähig. Schon allein der generell als positiv verstandene Begriff „Fortschritt“ suggeriert, daß der derzeitige Zustand einer Situation auf Dauer nicht befriedigend sein kann. Erst ein Fortschreiten, ein Verlassen des status quo, kann Befriedigung bringen.

Das daraus resultierende Verständnis kultureller Handlung kann ohne weiteres als machiavellistisch bezeichnet werden. Denn wenn die Veränderung des status quo Ziel der Handlung ist, spielt es keine Rolle, wie das angestrebte Ergebnis erreicht wird.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht der Effekt. Solange etwas einfacher, schneller, größer oder kleiner, billiger, lukrativer, bequemer oder schlichtweg moderner wird, ist es als positiv zu bewerten, gleichgültig, welche Mechanismen dafür verantwortlich sind.

Hier jedoch verselbständigt sich der Begriff des Fortschritts und löst sich von allen Bewertungskriterien zugunsten einer eigenen, von menschlichen Interessen unabhängigen Dynamik.
Der Fortschritt an sich wird als erstrebenswert angesehen, egal in welchem Bereich, in welcher Form oder mit welchen möglichen sekundären Konsequenzen er sich vollzieht.
Als plakatives Beispiel sei der Fetisch des „Wirtschaftswachstums“ genannt. Obwohl der Club of Rome bereits 1972 in seiner Studie Die Grenzen des Wachstums dieses Goldene Kalb der Wirtschaftspolitik als Irrweg entlarvte, gilt das zunehmende Bruttosozialprodukt nach wie vor als der unfehlbare Gradmesser des gesellschaftlichen Wohlergehens. Der Motor der Wirtschaft muß brummen und er muß effektiver werden, mehr leisten, sein „Drehmoment“ muß erhöht werden, die „Performance“ muß immer dynamischer werden.

Dementsprechend muß alles Zyklische, Statische, Gleichbleibende gegebenenfalls auf dem Altar des Fortschritts unter Zuhilfenahme der Schlagworte Mobilität und Flexibilität geopfert werden. Vormals stabile lokale Gemeinschaften werden durch nicht-örtliche sog. „Soziale Netzwerke“ ersetzt, die Familie durch Lebensabschnittspartnerschaften und Patchwork, und der Mensch selbst wird schließlich degradiert zu einem Produkt, das sich der Disziplin stetiger Selbstoptimierung unterwerfen und auf dem Arbeitsmarkt anbieten muß, um damit dem Heilsversprechen des Wachstums zu dienen.
Die Mechanismen und damit die konkrete Qualität der Gegenwart verschwinden zugunsten von anvisierten Effekten und werden ersetzt durch Oberflächen, die diesen Effekten vorausgreifen oder lediglich rein fiktive Effekte suggerieren sollen. Mit den beobachtbaren Mechanismen und erfahrbaren Prozessen verschwinden jedoch auch die definierenden Konstanten des menschlichen Selbstverständnisses und die des gemeinschaftlichen Handelns.

Yukari Kosakai ist einerseits fasziniert von all den verschiedenen Geräten, technischen Oberflächen und Anwendungen, andererseits stellt sie sich immer wieder die Frage nach der grundlegenden Funktion der Dinge, denn in unseren postindustriellen Zusammenhängen sind Form und Funktion, wie gerade dargestellt, schon lange entkoppelt. Der Vorgang selbst ist

Die 8. Ausstellung zum Jahresprogramm DREHMOMENT, 2017 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
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Präsentation
Vernissage
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