nicht relevant, nur der Effekt, weshalb auch die inhärente Ästhetik eines Mechanismus keine Rolle mehr spielt. Alles Wesentliche, das Funktion hervorbringt, verschwindet hinter den selbstleuchtenden Oberflächen der Displays und ihren Bildern. Doch eben gerade die Funktion, der physische Mechanismus, soll wieder zu Bewußtsein gebracht werden.

Im Keller des EINSTELLUNGSRAUM sehen wir einen Mechanismus aus einem kleinen Zahnrad und einem größeren Zahnradsegment. Als Antrieb dient ein Gewicht, das zunächst durch ein Gegengewicht gehalten wird. Dieses Gegengewicht besteht aus einem Messgefäß für Niederschlagsmengen. Verdunstet das dort eingefüllte Wasser, kann sich das Gewicht absenken und den Mechanismus in Gang bringen.


Tatsächlich ist die Versuchsanordnung so gewählt, daß der Vorgang zwar nicht unmittelbar beobachtet werden kann, sein Mechanismus aber derart offengelegt ist, daß wir den Vorgang in unserer Vorstellung nachvollziehen können, wie auch der Prozess der Wasserverdunstung etwas Unsichtbares ist, das von uns dennoch als Impulsgeber erkannt wird. Unsere Aufmerksamkeit wird also nicht nur auf den mechanischen Vorgang gelenkt, sondern es wird auch gezielt auf dessen Unsichtbarkeit hingewiesen. Der Effekt hingegen wird bloßgestellt als Etwas, das irrelevant und weitgehend zu vernachlässigen ist. Relevant hingegen ist die Qualität der Gegenwart und die Präsenz des Mechanismus.

Dieser Aspekt wird auch durch die Materialwahl unterstützt. Die Installation ist in leichtem Holz ausgeführt, zwar präzise, aber offenkundig nicht darauf ausgerichtet, unter industriellen Bedingungen zu arbeiten. So erhält die Installation eher etwas Modellhaftes, Veranschaulichendes, das keine akute Arbeit verrichten soll, sondern in erster Linie gedanklich nachvollzogen werden muß.

Auch für die zweite Installation hat sich Yukari Kosakai ein diesem Aspekt entsprechendes Material ausgesucht: Pappe. Durch die Wahl des klassischen Bastelmaterials und die unterlassene Kaschierung der Oberfläche tritt dem Betrachter zuerst nicht die Präzision und Leistungsfähigkeit des Mechanismus vor Augen, sondern die Sorgfalt und der Aufwand, die zu dessen Herstellung aufgebracht werden mußten. Dadurch wird die Aufmerksamkeit auf das Objekt selbst gerichtet, das so mit seiner materiellen Präsenz die Erwartung eines beeindruckenden maschinellen Effekts überdeckt.


Die Mechanik dieser zweiten Installation ist an der eines Uhrwerks orientiert. Herzstück ist ein Zahnrad mit einer sogenannten Ankerhemmung. Diese Ankerhemmung hält das Gangrad periodisch an und bewirkt dadurch einerseits ein regelmäßiges, stetes Laufen der Uhr, andererseits verhindert sie, daß die in der gespannten Feder gespeicherte Energie sich auf einmal entlädt.
Uhren sind in unserer Gesellschaft omnipräsent und sie dienen vor allem dazu, Arbeitsabläufe zu takten und aufeinander abzustimmen sowie Steigerungen der Effektivität oder der Geschwindigkeit zu überprüfen.
Es gibt zahlreiche Beispiele, vor allem aus den Stummfilmen des frühen 20. Jhd., in dem die Uhr als Symbol der industriellen Knechtung des Menschen fungiert. Sie steht also für die Herrschaft eines historischen  und teleologischen Gesellschafts-konzeptes, in dem nicht die Qualität der Gegenwart, sondern das Ziel von Bedeutung ist, in dem sich das menschliche Streben bündelt, um den Fetischen Wachstum und Geschwindigkeit zu huldigen.
Doch im Gegensatz zu der linearen digitalen Uhr, deren evolutives Ziel man in der „Sternzeit“ des Star Trek-Universums sehen kann, also einer Zeitangabe ohne Jahres-, Monats- oder Tagesangabe, trägt die mechanische Uhr noch das Erbe der zyklischen Zeit in sich.

Denn das Gangrad der Mechanik ist rund wie das Ziffernblatt der Uhr und wir kehren zyklisch immer wieder zu dem Ausgangspunkt zurück, in „Schritten zum Gegenpol“ - so auch der Ausstellungstitel. Von Mitternacht zu Mittag zu Mitternacht. Von Sonntag zu Mittwoch zu Sonntag. Durch die Jahreszeiten von Sommer- zu Winter- zu Sommersonnenwende.

Noch immer können wir die natürlichen Zyklen unserer Lebensumwelt wahrnehmen, wenn auch immer mehr abgeschwächt durch die Begleiterscheinungen des  historisch-materialistischen „Fortschritts“ wie das elektrische Licht, das die natürlich Dunkelheit relativiert, die Schichtarbeit,  die unseren natürlichen Schlaf- und Wachrhythmus zerstört, beheizte Lebens- und Arbeitsumfelder, die uns der akuten Wahrnehmung von Wetter und Jahreszeiten berauben, Agrarindustrie und beschleunigte Handelslogistik, die uns zu jeder Jahreszeit jedes eigentlich saisonale Produkt liefern können etc.pp.

Ein weiterer Aspekt der Uhr, der der Logik der Effektivität zuwiderläuft, ist das Fehlen eines Effekts. Denn die Aufgabe einer Uhr besteht lediglich darin, zu laufen, ohne jemals ein Ziel zu erreichen. Dafür ist die Ankerhemmung von zentraler Bedeutung, ebenso wie für die Installation „Schritte zum Gegenpol“.

Erst das Innehalten, das zyklische Stoppen der Bewegung bringt die Funktion des Uhrwerks hervor. Erst das ausgewogene Zusammenspiel von Bewegung und Stillstand ergibt einen Sinn.

Es ermöglicht ein Bewußtwerden der Qualität der Gegenwart, eine Reflektion des gegenwärtigen Handelns. Denn unser Leben gewinnt nicht durch die angestrebten Effekte und fiktionalen Ziele seine Gestalt, sondern durch unser gegenwärtiges Tun und die Beschaffenheit des Moments, auf den die Arbeiten Yukari Kosakais uns auf so überzeugende wie subtile Art hinweisen.
ⓒ Dr. Thomas J. Piesbergen / VG Wort, Oktober 2017

Die 8. Ausstellung zum Jahresprogramm DREHMOMENT, 2017 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
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Präsentation
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