Die Faszination
des Bösen - Gedanken zur Ausstellung "Sigrun
Jakubaschke - Viren im Labor" von Dr. Thomas J.
Piesbergen
Die Ausstellung „Viren im Labor“ von Prof. Sigrun Jakubaschke ist die 3. Präsentation im Rahmen des Jahresprogramms SPRIT UND SPIRIT Im 4. Kapitel
der Poetik von Aristoteles heißt es: „Denn von
denselben Gegenständen, die wir mit Unlust
betrachten, sehen wir besonders sorgfältig
angefertigte Abbildungen mit Wohlgefallen an, wie
z.B. die Formen von ganz widerwärtigen Tieren und
selbst von Leichnamen.“ (nach Alfred Gudemann,
1921)
Diese Lust an dem Grotesken und Schrecklichen erklärte Aristoteles mit der generellen Freude an der Mimesis, also der Nachahmung, und der Eigenschaft des Menschen, durch Nachahmung zu lernen. Nach Aristoteles besteht also der Reiz in der Nachahmung selber, ungeachtet des Gegenstandes, der nachgeahmt wird. Über das Dramatische hingegen, das immer mit dem Bedrohlichen für Leib und Seele einhergeht, heißt es im 6. Kapitel der Poetik, es bewirke „durch die Erregung von Mitleid und Furcht die Reinigung (Katharsis) von derartigen Gemütsstimmungen“ (ebd.). Durch das Anteilnehmen an heftigen Affekten auf der Bühne wäre der Mensch dadurch also imstande, sich selbst von ihnen zu befreien, um geläutert und leidenschaftslos Entscheidungen zu fällen, die nunmehr von Moral und Vernunft geleitet sind. Auch hier wird der Anziehungskraft, die solche erregenden Impulse wohlmöglich ausüben können, keine weitere Beachtung geschenkt. Dieser antike Ansatz, der noch von Opitz und Lessing in dieser Form weitgehend für gültig erachtet worden ist, wurde in der Romantik, in der man das Schreckliche und Erregende als Faszinosum thematisierte, zu einer Perspektive erweitert, die über das „Wohlwollen“ angesichts besonders gelungener Nachbildungen, also die aristotelische Mimesis, weit hinaus geht. |
Doch erst im Laufe des 20. Jhd. hat
das Schreckliche unter dem Einfluss der
Tiefenpsy-chologie eine signifikante Umdeutung erfahren.
Ihm wurde erstmals eine grundlegende und essentielle
Bedeutung zugebilligt. Eine Beschäftigung mit den
negativen Seiten der menschlichen Kultur und Seele wird
seit Sigmund Freud sogar als notwendig erachtet, um sich
über individuelle und kollektive menschliche
Gegebenheiten Klarheit zu verschaffen; dieser
Paradigmenwechsel, der unsere moderne Gesellschaft
maßgeblich mit geformt hat, wurde vor allem von den
Künsten schnell aufgegriffen und in seiner ganzen Tiefe
ausgelotet. In seinem experimentellen Roman „Meteor“ von 1934 schreibt Karel Capek, über die Arbeit des Schriftstellers reflektierend: „Die Phantasie an sich erscheint immoralisch und grausam wie ein Kind; sie gefällt sich in Schrecken und Lächerlichkeiten. (…) Ich versuche, die Literatur wegen ihrer Vorliebe für Tragik und Spott zu entschuldigen. Beides sind nämlich Umwege (…), um eine Illusion von der Wirklichkeit zu schaffen.(…) Mitgefühl und Gelächter sind lediglich Erschütterungen, mit denen wir die Ereignisse außerhalb von uns begleiten und kommentieren. Rufen sie wie auch immer diese Erschütterungen hervor, so erwecken sie zugleich den Eindruck, außerhalb von ihnen habe sich etwas Wirkliches abgespielt, desto wirklicher, je stärker dieser gefühlsmäßige Schlag ist.“ Die konkrete Zielsetzung des Schriftstellers sei es, so Capek, die „verknöcherte Seele des Lesers gehörig und unbarmherzig zu erschüttern.“ Der Moment der Katharsis zielt bei Capek also in erster Linie nicht mehr darauf ab, den Rezipienten zu läutern und von Affekten zu befreien, sondern zunächst genau diese Affekte in ihm wachzurufen, um ihm das Gefühl zu geben, mit der menschlichen Wirklichkeit in Berührung zu kommen. Auch Alberto Manguel sieht darin die Aufgabe der Literatur. In „Eine Stadt aus Worten“ von 2007 schreibt er: „Geschichten nähren unser Bewußtsein und können uns zu der Erkenntnis darüber führen, wenn schon nicht WER, so wenigstens DASS wir sind,…“ Capek und Manguel postulieren also nicht die leidenschaftslose Vernunft als Ziel der |
Der
03.Beitrag zum Jahresprogramm SPRIT und
SPIRIT des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2020
|
|
Präsentation |
|
back |
next |
Gefördert
von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und
Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek |