Der innere Ton und der aeussere Laerm: Dr. Annelen Kranfuss
Annelen Kranefuss
"Wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbaß"

Matthias Claudius war 59 Jahre alt, als sein sechzehnjähriger Sohn Hans eine Lehrstelle bei einem Hamburger Kaufmann antrat. Seinem Sohn Hans, Claudius nannte ihn stolz seinen „Dauphin“, gab er einen Brief mit Ratschlägen mit auf den Weg, den er 1799 unter dem Titel An meinen Sohn H  als Broschüre drucken ließ und 1803 mit dem feierlicher klingenden vollen Namen  „An meinen Sohn Johannes 1799“ (W 545-548) in den 7. Teil seiner Sämmtlichen Werke des Wandsbecker Bothen aufnahm. Vierzig Jahre zuvor hatten auch Matthias Claudius und sein Bruder Josias zu Beginn ihres Studiums in Jena so ein kleines Heft bekommen: Väterliche Erinnerungen an seinen nach Universitäten gehenden Sohn. Die waren allerdings viel lebenspraktischer auf das Leben und Verhalten in einer Universitätsstadt gemünzt, während  Johannes ethisch-moralische Lebensmaximen des Vaters erhält, als Brief mit Anrede und unterschrieben mit „Dein treuer Vater“. 
Claudius war ein sehr engagierter Vater. Er hat sich intensiv um die Erziehung seiner Kinder gekümmert, auch um die der Töchter, fünf waren es, ehe der gewünscht Sohn kam.
Zunächst spricht der Briefschreiber vom Verhältnis von Vater und Sohn. Der Vater hat Autorität aufgrund eigener Erfahrung:

„Lieber Johannes!
Die Zeit kommt allgemach heran, daß ich den Weg gehen muß, den man nicht wiederkömmt. Ich kann Dich nicht mitnehmen und lasse Dich in einer Welt zurück, wo guter Rat nicht überflüssig ist.
Niemand ist weise von Mutterleibe an; Zeit und Erfahrung lehren hier, und fegen die Tenne.
Ich habe die Welt länger gesehen als Du.
Es ist nicht alles Gold, lieber Sohn, was glänzet, und ich habe manchen Stern vom Himmel fallen und manchen Stab, auf den man sich verließ, brechen sehen. Darum will ich Dir einigen Rat geben und Dir sagen was ich funden habe, und was die Zeit mich gelehret hat.“

Danach steckt Claudius den Grund ab, in dem seine Ratschläge wurzeln. Es gehört zum Wesen des Menschen, sagt er, dass er hier „nicht zu Hause ist“, dass er im Gegensatz zu allem anderen in der Welt Bewusstsein hat –  „er ist sich selbst anvertraut und trägt sein Leben in seiner Hand“. Daraus folgt nun aber nicht, er könne sich „raten und selbst seinenWeg wissen“.  Denn: „Die Wahrheit richtet sich nicht nach uns, lieber Sohn, sondern wir müssen uns nach ihr richten.“
Die Wahrheit, auf die Claudius hier zunächst fast verdeckt anspielt, ist der christliche Glaube. An ihm hält Claudius fest, auch gegen den Zeitgeist.
„Was Du sehen kannst, das siehe, und brauche Deine Augen, und über das Unsichtbare und Ewige halte Dich an Gottes Wort. Bleibe der Religion deiner Väter getreu“.

Darauf folgt eine Kette von spruchhaften persönlichen Mahnungen, Imperative mit Handlungs- und Denkanweisungen, manche ganz kurz und simpel: „Halte dich zu gut, Böses zu tun.“ „Schmeichle niemand und laß Dir nicht schmeicheln“. Einige Sprüche sind länger, oft zweigliedrig: „Wolle nicht immer großmütig sein, doch gerecht sei immer“; manche haben eine kurze oder längere Begründung.
Vieles davon ist uns heute fremd, manches kann ich nicht übernehmen. Etwa: „Gehorche der Obrigkeit und lass die andern über sie streiten“. Das ist pures lutherisches Obrigkeitsverständnis, in demokratischen Staaten und Gesellschaften lange überholt.
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
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