Der innere Ton und der aeussere Laerm: Dr. Annelen Kranfuss
Und wie verhält es sich mit dem Satz, aus dem das Jahresthema im Claudiusjahr stammt: „Wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbaß“?

Die Veranstalter des Einstellungsraums haben diesen Satz für uns Heutige verdeutlicht, indem sie Geräusch mit „Lärm“ übersetzt und zu dem schönen Gegensatzpaar „Der innere Ton und der äußere Lärm“ verbunden haben. Damit haben sie wohl nicht nur den Verkehrslärm gemeint, obwohl für unsere Ohren das Wort „Lärm“ dem heutigen Sprachgebrauch, bezogen auf den Straßenverkehr, wohl näher kommt als „Geräusch“.  Dass das altertümlich klingende „fürbass“ „besser fort“ oder „einfach weiter“ bedeutet, ist vermutlich auch nicht mehr allen bekannt.

Ins Heutige übersetzt, hieße der Spruch also: „Wo du Lärm auf der Straße hörst, da gehe lieber weiter oder voran. Bleibe nicht stehen, sondern geh einfach weiter". Wirklich?

Als ich meiner Schwester das Originalzitat vorlas: „Wo du Geräusch auf der Gassen hörst, da gehe fürbaß“,  reagierte sie mit einem bedenkenswerten Einwand: Was ist, wenn dieses Geräusch von einem Hilfsbedürftigen stammt, etwa bei einem Unfall oder einer Schlägerei? Darf ich da wirklich ungerührt weitergehen?

Auch wenn man, wie das Claudius mit Sicherheit wollte, den Satz bildlich versteht, Geräusch oder Lärm als Metapher nimmt für fruchtloses Geschwätz in der Öffentlichkeit, lautstark ausgetragene ideologische Streitereien, muss ich doch fragen: kann ich, darf ich, um meiner Seelenruhe willen an Kontroversen, Streitfragen, öffentlichen Diskussionen einfach vorbei gehen? Wann geht mich etwas an, wann ist es besser für mich und die Sache, sich nicht einzumischen? Das sind Fragen, die jeder und jede für sich entscheiden muss.

Auch Claudius hat sich immer wieder in das literarische und politische Geschehen seiner Zeit eingemischt, im Alter manchmal verbissen, als jüngerer Autor aber oft auf subtile, witzige, indirekte Art.
Dass sich Fragen nach der Berechtigung und Gültigkeit der zitierten Sätze melden, gehört zum Wesen solcher apodiktisch formulierten Spruchweisheiten, wie sie Claudius seinem Sohn Johannes ins Stammbuch schrieb. Schon durch ihre Form behaupten sie eine Autorität, die scheinbar nicht mehr zu hinterfragen ist. Sie prägen sich dadurch ein, aber auf welchen Erfahrungen sie beruhen, in welcher historischen Situation sie entstanden sind, das wissen wir nicht immer. Claudius' Sohn Hans konnte die Sätze verstehen, weil er sie auf die täglich vorgelebte Haltung und Lebensweise seines Vaters beziehen konnte, aus den Gesprächen im Wandsbeker Elternhaus im Familienkreis mit zehn Geschwistern, wusste er, wie sie gemeint waren. Wir als Leser, die wir diese Anweisungen nicht ungeprüft übernehmen wollen, müssen nach ihrem Zusammenhang im Denken und Erleben des Autors fragen, nach ihrem „Sitz im Leben“ wie der Fachterminus lautet. Dazu müssen wir uns an seine schriftliche Hinterlassenschaft, sein Werk halten.
Wenn ein Spruch tiefsinnig ist, so schwimmt der Sinn nicht obenauf; und denn pflegt er ziemlich sicher zu sein“ (W 183) hat Claudius einmal gesagt.
Also: Was meinte Claudius? Sicher weder unseren Verkehrslärm, noch das unendliche Rauschen unserer Medien. Oder vielleicht doch? Etwa als Zusammenhang von Geräusch und Gerede?  Fragen wir nach dem Kontext des Satzes. Bisher kennen wir nicht ihn nicht vollständig, er ist der letzte Teil eines zweigliedrigen Wenn-dann-Satzes. Im Ganzen lautet er:
Erwarte nichts vom Treiben und den Treibern, und wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbaß.“ 
Neue Fragen: was ist mit dem Treiben gemeint und wer sind die Treiber?
Treiben –  laut Grimms Deutschem Wörterbuch meint der Begriff u.a. buntes oder chaotisches und wirres, gesellschaftliches oder politisches Treiben. Das
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
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