Auf anderen Zeichnungen wird plötzlich der Spiegel selbst zum Objekt der Betrachtung, die Spiegelfläche bleibt jedoch leer und das Blatt wird beherrscht von einem barock anmutenden, prächtig ornamentierten Rahmen. Hier tritt ein zweites wichtiges Element auf den Plan, das uns im Tableau in zahlreichen Varianten begegnet: das Ornament, das auch immer wieder durch die vielfache Spiegelung einzelner Bildelemente hervorgebracht wird.

Besonders auffällig sind die Ornamente, die aus menschlichen Figuren gebildet sind, zumeist solche, die als idealisierte und normierte Selbstportraits gelesen werden können. Gabriela Goronzy nannte hier als Einfluss vor allem Filme des Choreographen Busby Berkeley, der in den 30er und 40er Jahren zahllose Tanz- und Revue-Filme inszenierte und dadurch auffiel, daß seine Tänzerinnen sich im Laufe der Choreographie nimmer wieder zu symmetrischen Mustern und Ornamenten ordneten.

Hier sehen wir also als bildhafte Metapher die kulturelle Struktur vor uns, in die sich der Mensch einfügt und in der er seine individuelle Identität einer Gruppen-identität unterordnet, um eine übergeordnete Form hervorzubringen - keine individuelle, sondern eine kulturelle Identität, die den notwendigen Rahmen der Selbstwahrnehmung bildet oder sie sogar fast vollständig überlagert.

Dieses Spannungsfeld zwischen der Wahrnehmung unseres Selbst als Individuum oder Teil einer Gruppe, als autarke Entität oder ausstauschbares Mosaiksteinchen, als Original oder Kopie, beleuchtet Gabriela Goronzy auf sehr differenzierte Weise und ohne abschließende Wertung. Manche Blätter zeigen das Kollektiv als etwas überzeugend Ästhetisches, in dem das Individuum, zugunsten eines Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Teile, an Bedeutung verliert, gleichzeitig aber in der Gemeinschaft geschützt ist.

Ein besonders berührendes Beispiel dafür ist die Zeichnung nach einer Photographie aus den 40er Jahren, die die Mutter der Künstlerin mit zwei Freundinnen zeigt. Sie stellt nicht nur den Versuch einer Annäherung an die eigene identitätsstiftende Familiengeschichte dar, sondern auch die Geborgenheit in einer Gemeinschaft aus Gleichen. Denn die drei Freundinnen sehen sich in Kleidung und Haltung einander ähnlich wie Drillinge. Sie repräsentieren einen als positiv erfahrenen privaten wie gesellschaftlichen Konsens und bilden zu dritt eine in sich geschlossene Form.

Andere Blätter hingegen zeigen kopflose Frauen, die sich wie altmodische Kleiderpuppen aus Papier aus einem Fundus verschiedener Köpfe den passenden aussuchen können. In diesem Zusammenhang wird das Selbst reduziert auf seine repräsentable Oberfläche, als ein beliebiges Mittel der Anpassung an die unterschiedlichen Anforderungen der kulturellen Umwelt. Der adaptive Druck der äußeren Struktur bewirkt hier einen negativ konnotierten Verlust der Identität.

Auf einigen Zeichnungen sehen wir Muster aus Kreisen und Quadraten, die sowohl an die geometrischen Formen erinnern, in die Leonardo da Vinci seinen Idealmenschen einspannte, als auch an Konstruktionen der Zentralperspektive in der Renaissance. In diesen strukturierenden, hierarchisch wirksamen Liniennetzen sehen wir mal eine dunkle, gesichtslose Gruppe von menschlichen Schemen, mal eine Opposition von Individuum und Gruppe, die angeordnet ist, als liefe sie in einem Hamsterrad.

Das ausscherende Individuum finden wir auch auf einer Zeichnung, auf der Gesichter hinter senkrecht verlaufenden Linien angeordnet sind, wahlweise lesbar als Perlen an einer Schnur oder auch als gefangen hinter Gitterstäben. Nur ein von den anderen isolierter Kopf ist nicht durch die senkrechten Streifen eines Teils seines Gesichtes beraubt.  

Die 07. Ausstellung zum Jahresprogramm Regeln regeln. Regeln regeln! 2019 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
Präsentation
Vernissage
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