Alles im Fluss? Eine Reflektion |
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3. Kill
Angesichts der vielen
toten Lebewesen auf der Ölbohrinsel, im Meer und an der Küste klingt
„Top Kill“ als Name der Maßnahme zum Verschließen des offenen Bohrlochs
wie Hohn. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, das Öl aufzufangen,
signalisierte man nach einer langen Phase der Beratungen mit Fachleuten
aus Technik und Öffentlichkeitsbeeinflussung, dass Endgül- tiges
passieren wird. Auch wenn nicht klar, wer getötet werden soll,
signalisiert der Titel „Top Kill“ Entschlossenheit. Man knüpft hier an
der vorhergehenden Aktion mit dem Titel „Top Hat“ an, welche das
Aufsetzen des Absaug-Zylinders meinte, der wegen der gleichnamigen
Filme schon auf die Leichtigkeit eines Tanzes spielen sollte?4
Bleibt allerdings zu klären, warum man hier den Begriff „Top“
beibehalten hat. Vermutlich wollte man den Anschein von Kontinuität und
Folgerichtigkeit erzeugen, und sich als Heldentruppe5 ausweisen, die in der Verbindung mit „Kill“ noch zulegen kann. Doch wer ist der Gegner und wer das Opfer?
III. Essen und Fahren 1. Ströme
Michael Balint hat das Verhältnis der Menschen zu den Elementen untersucht, die sie wie die Luft oder das Wasser umgeben und diese mit der Verabreichung von Muttermilch in Beziehung gebracht.6 Er hat das Fließen auch mit Fahren in Verbindung gebracht, wobei er Fahrer und Passagiere vom Fahrtwind umströmt sieht. Das trifft entsprechend auch auf Wasserfahrzeuge wie Boote oder Schiffe zu. Da diese Ströme besonders auch durch Beschleunigung verstärkt werden, weckt das Fahren bei entsprechend veranlagten Menschen wie den die Weite suchenden „Philobaten“ die Grunderfahrung des Versorgtseins, weshalb Balint die hindernislose Ferne als „freundliche Weiten“7 definiert. Ein unendlich fließender Strom war nicht zuletzt die Grundlage früher Hochkulturen an Euphrat und Tigris sowie am Nil; denn der Fluss bedeutete Leben und brachte durch regelmäßige Überschwemmungen fruchtbare Schwebstoffe auf die Felder, die mehrere gute Ernten pro Jahr garantierten. |
2. Fließband
Wer würde nicht das
erste Fließband in der Produktion von Gegenständen vermuten. Angesichts
der oben erwähnten Zusammenhänge und diese verstärkend, stand es jedoch
in einem Schlachthaus in Cincinnati, wo Schweine erstmals am laufenden
Band geschlachtet und zerlegt wurden. Sigfried Giedion präsentiert
einen Stich aus Harper’s Weekly vom 6. Sept. 1873, der ein Fließband in
einem Schlachthaus darstellt8.
Man kann davon ausgehen, dass das
Fließen zur Produktionssteigerung und zur Produktion von Bewegung hier
in erster Linien mit der Wunschvorstellung eines ununterbrochenen
Nahrungsmittelsstroms verbunden ist, was sich nicht nur in den Motiven
der Märchen vom Schlaraffenland und vom Kochenden Brei niederschlug,
sondern auch die Metaphern für Bewegungen und Not- wendigkeiten
von Motorfahrzeugen prägte. Hier werden „Kilometer gefres- sen“, und es
wird „Sprit geschluckt“.
3. Hungern für Fahren
Nach dem Peak Oil führt die zu erwartende Knappheit an Sprit bei wachsendem Verkehrsaufkommen dazu, dass heute schon der Anteil an Argotreibstoffen erhöht wird. Der Druck auf die Landwirtschaft, Pflanzen zur Herstellungen von Treibstoffen anzubauen, führt zu einer konkreten Konkurrenz zwischen Automobilität und Nahrungsmitteln, die jetzt schon zur Ausweitung der Rodung von Urwäldern führt, um auf den Flächen Palmöl und Zuckerrohr anzubauen. Weltweit drängt der Anbau von Pflanzen für Agrokraftstoffe die Produktion von Nahrungs- und Futter- pflanzen zurück, wodurch absehbar ist, dass sich Lebensmittel weiter verteuern werden, was wiederum primär zulasten der Armen geht.9 Die Unmöglichkeit die heute benötigten Energiemengen auf Ackerflächen zu erzeugen, zeigt auch, dass wir jedes Maß für die von uns verbrauchten Energievorräte verloren haben. Landwirtschaft konnte zwar genug Energie für Pferde, zum Kochen und Heizen herstellen, doch die Menge an fossilem Brennstoff, die wir ganz selbstverständlich verbrauchen, wuchsen im Laufe eines mehrstelligen Vielfachen der Zeit, in der wir die Vorräte |
4
Man hat ja bewusst den technischen Begriff cylinder vermieden und den
Namen der veralteten Kopfbekleidung Zylinder vorgezogen. Die
Verharmlosung wird noch gesteigert, weil „Top Hat“ auf den
gleichnamigen Tanzfilm (1935) mit Fred Astaire und Ginger Rogers
anspielt. Die Wahl der Begriffe deutet auf eine bewusste Irreführung
der Öffentlichkeit hin. 5 Tom Cruise spielte 1986 in „Top Gun“ einen Kampfpiloten der US-Navy 6 Thrills and Regressions, London 195, dt.: Angstlust und Regression, Reinbek , S. 56 7 ebd., S. 30. Was in der Doppelbedeutung von „Lecken“ anklingt wird durch die Ausführungen von Balint psychoanalytisch fundiert. |
8 Giedion geht davon aus, das die Abbildung (Mechanization Takes
Command, Oxford Univ. Press 1948, dt.: Die Herrschaft der
Mechanisierung, Frankfurt/M. 1982, Sonderausg. 1987, S. 113) einem
Schlachthaus in Cincinnati zuzuordnen ist, weil dort die Mechanisierung
am weitesten fortgeschritten war. Dazu zieht er eine nach ähnlichen
Prinzipien abrollende Schweinewaage heran, die 1896 von einem Erfinder
aus Cincinnati zum Patent angemeldet worden war (ebd., Abb. 50, S.
121). Da der Erfinder auf die Verbesserung einer bestehenden Anlage
hinweist, geht Giedion von einem Gebrauch des Schweinefließbands in den
1890er Jahren aus (S.120). Bemerkenswert ist die Ursache für die magere
Quellenlage, die Giedion in der Scham der Stadt vermutet, die ihren
Reichtum lieber auf das Musikleben statt auf das Schlachten
zurückführen mochte. 9 Das im Energiegutachten der deutschen Bundesregierung für 2050 anvisierte Ziel von einem 85%-igen Anteil an Agrokraftstoffen im Straßenverkehr hält der Energieexperte des BUND Thorben Becker für völlig unrealistisch. (Jakob Schlandt: Verblüffender Biomasse-Boom, in: FR vom 1. Sept. 2010, S. 17) Jürgen Schmid vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel sieht einen „gewaltigen Konflikt mit der Nahrungsmittelproduktion“ voraus. (ebd.) |
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