Zunächst wäre da ein zunächst wenig spektakuläres Tütchen mit Quarzsand, der etwa 70% des Gemenges von industriell hergestelltem Glas ausmacht. Doch schon bei dem Anblick dieses milchigen und matten Sandes ergänzt man schon von selbst auf dem gedanklichen Weg zum transparenten Fensterglas die uranfängliche Hitze des Feuers, in dem das Silikat geschmolzen und geläutert werden wird.

Auf den Fotoarbeiten, auf denen jeweils zwei unterschiedliche Zustände des Glases miteinander in Dialog treten, begegnet uns entsprechend ein Glasbläser bei seiner schweißtreibenden Arbeit, von dem man kaum mehr sieht als seine Hände im Licht des von Feuer umlohten Glasrohlings.

Auf einem anderen Blatt sehen wir Fragmente libyschen Wüstenglases, einem sog. Impakt-Glas, das mit großer Wahrscheinlichkeit während eines massiven Meteoriteneinschlags im Bereich der heutigen Sahara entstanden ist. Diese apokalyptische Zeugungsgeschichte wird konterkariert durch eine kleine Sammlung von profanen Trinkgläsern als Trägern eines mediokren Alltagsgeschmacks.

Eine ganz ähnliche Polarität erzeugt die Gegenüberstellung des kleinen gerahmten Photos eines üppigen, bunten Kronleuchter mit einem Bimsstein, wie er als Hygieneartikel in der Drogerie gekauft werden kann. Doch der Bimsstein ist nichts anderes als extrem blasig-poröses Vulkanglas, in einem Naturereignis entstanden, das einem Meteoriteneinschlag in seiner elementaren Gewalt durchaus gleichkommt.

Auf einem anderen Bildpaar wird ein Screenshot aus dem Glasmuseum in Lauscha, auf dem wir ein breitgefächertes Sortiment von gläsernem Weihnachtsschmuck sehen, begleitet von der Photographie eines Fulgurits, einer sog. Blitzröhre. Schlägt ein Blitz in Sand oder Gestein, verschmilzt er die Minerale, durch die er fährt, bei Temperaturen von bis zu 30.000 °C spontan zu Glas. Wie in dem Fall des Impaktglases und des Bimssteins tritt uns nicht nur die Genesis des Materials in einem infernalischen Szenario vor Augen, sondern das Material selbst ist zum Zeugen des Ereignisses seiner Entstehung geworden. Es ermöglicht einmal mehr den Blick durch ein Fenster, in diesem Fall ein Fenster in die eigene Vergangenheit.
Auf einem weiteren Bild wird das eben plastisch gewordene Kräfteverhältnis von Feuer und Glas plötzlich überraschend umgekehrt. Von einer gläsernen Vitrine geschützt züngelt eine harmlose und dekorative Gasflamme vor sich hin. Das ursprünglich im Feuer geborene Glas ist nicht mehr nur das erduldende und bezeugende Produkt kataklystischer Ereignisse, sondern ist zu einem strukturierenden Element geworden, das imstande ist, die Kräfte, die es schufen, im Dienste des Menschen zu zähmen und sogar zu schützen.

Genauso kehrt sich die Blickrichtung um: Wir betrachten nicht mehr nur die von urgewaltigen Kräften erschütterte Vergangenheit des Glases, sondern wir projizieren in das Glas ein reines, unberührtes Utopia der menschlichen Kontrolle und laden es mit unseren Visionen der Zukunft auf.

Aldous Huxley beschrieb 1956 in dem Essay „Himmel und Hölle“ die Visionen vom Paradies vor allem gekennzeichnet durch den Glanz von Kristallen und Edelsteinen, deren Entsprechung wir z.B. in den gotischen Kirchenfenstern finden. Diesen Zusammenhang offenbart auch die Etymologie des Wortes „Glas“, das sich aus dem germanischen Wort für „Bernstein“ ableitet und gleichbedeutend ist mit dem „Glänzenden“ und „Schimmernden“ und auch als Synonym für „Schmuck“ verwendet wurde.

So finden wir auf der Einladungskarte zu Jenny Schäfers Ausstellung einen für uns unerreichbaren, weil gläsern überkuppelten Baum, der von einer kitschigen Version der elysischen Felder zu stammen scheint. Aber auch die konkreteren, von der SF geprägten Vorstellungen einer zukünftigen Welt sind meist gekennzeichnet von gläsernen Palästen, von kristallener Architektur, die in den Himmel aufragt. Solche Architektur finden wir in der Ausstellung einerseits repräsentiert durch die typische Fassade eine Glas-und-Stahl-Hochhauses, geziert durch zwei CCTV-Kameras mit ebenfalls gläserner Optik. Zum anderen, und noch expliziter, finden wir sie auf den vom Bildschirm abphotographierten Stills der „Festung der Einsamkeit“ aus dem Film „Supermann“ von 1978. Der utopische Übermensch läßt in dieser Comic-Adaption einen gewaltigen kristallenen Palast aus dem arktischen Eis emporwachsen als unschuldigen, reinen Rückzugsort und als Gegenwelt zu der verworrenen und kriminellen Zivilisation der Menschen.

Die 01. Ausstellung im Jahresprogramm SPEICHERN | AKKUMULIEREN des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2016
Dokumentation der Installation
Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek 
back
next