schon längst kannten. Unterseeboote und Mondraketen sind uns seit Jules Verne vertraut. Bildschirmtelefone findet man bereits auf Sammelbildchen der 1920er Jahre. Seit genauso langer Zeit begleiten uns die von Karel Capek erdachten Roboter. Doris Day schlug sich bereits 1966 mit einem autonomen Staubsauger in dem Prototypen eines Smarthomes herum, und auf dem Raumschiff Enterprise gehörten Tablet-PCs und Sprachgesteuerte Computer schon in den 1980er Jahren zur Standardausrüstung.
Zwar behandelt die Science Fiction stets die Probleme einer möglichen technischen Entwicklung und will uns darauf vorbereiten, gleichzeitig vermittelt sie aber auch eine ungeheure Neugier auf die Zukunft und die Erkenntnisse, die sie bringen mag.

Diese Neugier ist eine wichtige Motivation im Werkprozess Manfred Eichhorns und sie zieht ihn immer wieder an einen Ort, an dem die Grenzen der Wissenschaft Schritt für Schritt erweitert werden, an dem versucht wird, die phantastische Welt der Hypothesen im Experiment zu belegen, an dem z.B. nach Teilchen gesucht wird, die bislang nur in den Köpfen der theoretischen Physiker Gestalt angenommen haben: Es ist das DESY, das Deutsche Elektronen-Synchrotron.
Die Forschung, die dort stattfindet, ereignet sich in zweifacher Hinsicht in Extrembereichen. Die zu erforschenden Teilchen bilden die unterste Grenze des Mikrokosmos, oder sie geistern, sofern sie hypothetischer Natur sind, sogar jenseits dessen herum, was als empirisch verifizierte Wirklichkeit gelten darf. Gleichzeitig spielt sich die Forschung in dem bereits dargestellten makrokosmischen Extrembereich eines phänomenologischen Erkenntnismodells ab, dem Bereich der abstrakten, kollektiv gebildeten Modelle, die die Antithese des sinnlichen Erlebnisses darstellen, und deren Inhalt, so Heisenberg, selbst die Forschenden über die Grenzen ihres Vorstellungsvermögens zwingt, und der formal dem Uneingeweihten nur noch als unentwirrbarer Salat von Zahlen, Buchstaben und Operatoren erscheint.

Gefangen in unserem kognitiv eingeschränkten Mesokosmos bleibt uns nur die Faszination, der Glaube an die Zuverlässigkeit des wissenschaftlichen Apparats und die Hoffnung auf eine damit gewonnene Zukunft.
In den Arbeiten Eichhorns tritt vor allem diese Faszination hervor, die die Begegnung mit dem „Unbenennbaren“ hervorruft, in dessen Regionen sich die empirischen Weltmodelle in den letzten hundert Jahren vorgewagt haben.

Dem Diktum folgend, der Makrokosmos sei im Mikrokosmos gespiegelt, begegnet Eichhorn dieser Welt maximal abstrahierter Modelle mit der gleichen Offenheit, die eigentlich nur die radikal subjektive Begegnung mit der Wirklichkeit, also den  Mikrokosmos des phänome-nologischen Erkenntnishorizonts auszeichnet. Und mit einer daraus sich konsequent ergeben- den und bewußt eingesetzten Unbedarftheit, versucht er den Dingen, die sich in dem undurch-dringlichen Dickicht der Formeln verbergen, nach den Gesetzen des menschlichen Mesokos- mos, also vor allem intuitiv, eine Gestalt zu geben. 

Zwischen den verheißungsvollen und ebenso verwirrenden Formeln tauchen Kreise auf - der kulturhistorisch belegte Urausdruck für die empfundene Einheit allen Seins. Erste Beziehungen zwischen ihnen entstehen, Verbindungslinien werden gezogen, und bilden symbolische Beziehungsgefüge, die stark an alchimistische Modelle erinnern, oder an andere protowissen-schaftliche Darstellungen vergangener Jahrhunderte.
Und immer wieder taucht die Triade auf: mal in Form dreier Kreise, in deren Spannungsfeld sich die Zahlenkolonnen gruppieren, mal als Dreiecke, die sich über das Gewirr der Formeln legen. Sie können gelesen werden als Verweise auf die drei euklidischen Dimensionen unserer menschlichen Lebenswirklichkeit oder als die drei Eckdaten der Triangulation, mit deren Hilfe wir unsere Welt vermessen.

Als Überlagerung des radikal subjektiven und des abstrakt kollektiven Weges der Erkenntnis kann auch die Wahl des Maluntergrunds einiger Arbeiten im Kontrast zu dem darauf Abgebildeten gelesen werden: Statt makelloser, neuer Leinwände benutzte Manfred Eichhorn für einige Bilder alte Lappen, die dunkle Spuren von aufgewischtem Leinöl aufweisen. In diesen absichtslos entstandenen, unförmigen Flecken tritt uns das noch Namenlose, Chaotische, Unge- staltete entgegen, dem wir unmittelbar und sinnlich begegnen, das Objekt der radikal subjektiven Erfahrung. Darüber legt sich das Ringen mit der vorgefundenen Wirklichkeit und der Versuch, sie zu vermessen und in die abstrakten Regionen der Modelle zu überführen.
Um auf ein bereits verwendetes Bild zurück zu greifen: die Substanz der Arbeiten stammt aus dem subjektiv und unmitttelbar wahrgenommenen Mikro- und Makrokosmos der Erkenntnis, ihre Form und Ordnung aber erhalten sie aber von den intuitiven, konfigurierenden Prozessen des Mesokosmos.

In den großformatigen digitalen Collagen stellt Manfred Eichhorn vorgefundene Strukturen aus der Pflanzenwelt den von ihm imaginierten „organischen Architekturen“ gegenüber. Die Objekte scheinen ineinander über zu gehen, einander zu durchdringen oder auseinander hervorzugehen. Hier tritt das Hypothetische, das Fiktive klar zutage, das aber immer das Potenzial in sich trägt, in einer unbestimmten Zukunft realisiert zu werden und auf dem Wege, auf der Basis der wissenschaftlichen Abstraktion und deren Extrapolation im intuitiv-kreativen Mesokosmos, schließlich in der faktischen, sinnlichen, subjektiv erfahrbaren Wirklichkeit Gestalt anzunehmen.

Und so zeigt sich in Manfred Eichhorns Werkkomplex „Gefüge unserer Welt“ der Versuch, wenn schon nicht die ganze Welt abzubilden, so doch wenigstens unsere subjektiven und kollektiven Bemühungen diese in ihrer Totalität zu erfassen; in einem Mesokosmos, dessen Integrations-vermögen in seiner Fähigkeit zur intuitiven Visualisierung liegt, die uns, trotz aller kognitiven Beschränkungen, vielleicht doch tiefere und komplexere Einblicke in die Wirklichkeit erlaubt, als uns die evolutionäre Erkenntnistheorie zugesteht.

© Dr. phil. Thomas J. Piesbergen / VG Wort, September 2020

Der 07.Beitrag zum Jahresprogramm SPRIT  und SPIRIT des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2020
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