Das eine beschreibt die Geschichte als einen Bilderbogen individueller Handlungen, als eine Abfolge von politischen Führern und ihren großen, einsamen Entscheidungen, als das Wirken von hellsichtigen Pionieren, Entdeckern und Wissenschaftlern, deren Leben sich in einem glanzvollen oder finsteren Punkt verdichtet hat.

Das andere Erklärungsmodell wird für die Neuzeit vor allem von der Philosophie des Historischen Materialismus von Karl Marx repräsentiert, in der nicht Individuen, sondern ganze Klassen von Menschen als Protagonisten fungieren, die sich in ihrem Widerspiel auf das Erlösungs-Szenario des Weltkommunismus zubewegen.

Angesichts des ersten Models drängt sich die Frage auf, ob es wirklich Einzelleistungen sein können, die aus dem Nichts eine Entwicklung in die Wege leiten. Das zweite Model erleidet Schiffbruch an der weiter oben zitierten Feststellung Anthony Giddens´, soziale Systeme, also auch gesellschaftliche Klassen, hätten keine Absichten, Zwecke oder Bedürf-nisse, nur individuelle Menschen hätten diese.


Wir befinden uns also wieder im Spannungsfeld zwischen Individuum und gesellschaftlichem System. Zwischen dem Körper und seinem Verlangen nach Homöostase auf der einen Seite und der emergenten, regulierenden Superstruktur auf der anderen.

Wie oben bereits ausgeführt können die emergenten Steuerungssysteme und regulierenden Strukturen eine Dynamik entwickeln, die nicht mehr der individuellen Homöostase dient, sondern ihr sogar zuwider läuft. An diesem

Punkt betritt Freuds „Unbehagen in der Kultur“ erneut und in einem anderen, breiter gefächerten Licht die Bühne. Die sog. „Interessen“  der Gesellschaft und des Individuums widersprechen sich.

Der Neurowissenschaftler Antonio Damasio betrachtet die Emotion des Schmerzes und die darauf aufbauenden Gefühle des Erleidens und des Mitleidens als zentrale Motoren menschlichen Handelns und damit auch als zentrale Motoren der kulturellen Entwicklung. Der Austragungsort des Konflikts zwischen Individuum und regulierender Gesellschaft ist und kann nur der individuelle Körper sein, mit dem wir unsere Umwelt erfahren und erfühlen.

Nur er kann wiederum in seinem Bestreben nach Homöostase Widerstand gegen Regularien entwickeln, die sich seinem individuellen Wohlergehen entfremdet haben.
Der Körper ist der Ort, an dem sich die Systemstörung ereignet. Und nur die Systemstörung kann eine Veränderung des Systems hervorrufen, in dem sich das individuelle Unwohlsein vieler Einzelner in der Gesellschaft zu einer Strömungen verbindet. Doch die Systemstörung ereignet sich in jedem individuellen Körper. Und mit welcher daraus resultierenden Einzelhandlung schließlich der Tipping-Point erreicht wird und sich eine kritische Masse bildet, die eine gesamtgesellschaftliche Veränderung in Gang setzt, kann erst rückblickend entschieden werden.

Gesellschaftliche Veränderung wird also nicht durch die Interessen einer systemischen Masse bewirkt, genauso wenig wie durch individuelle, einzigartige Pioniertaten, sondern durch eine Vielzahl individueller,
Präsentation
Vernissage
Die 05. Ausstellung zum Jahresprogramm Regeln regeln. Regeln regeln! 2019 des EINSTELLUNGSRAUM e.V.
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