Im Folgenden versuche ich, mich den Bildern von Sabine Rehlich und ihren Projektionen vor diesem Hintergrund, also dem der menschlicher Inkom- petenz und Schwäche zu nähern. Auf diesem Gebiet berühren sich seit jeher religiöse mit bildnerischen und literarischen Konstruktionen, die eine Anschauung von etwas Unerreichbarem zu geben versuchen. In der Reihe unserer Vorfahren müssen wir weit zurückgehen, um Lebewesen zu finden, die auch die größte aller bisherigen Klimakatastrophen überlebten. Es waren mäuseähnliche  Säugetiere, die den Folgen des Einschlags eines Kometen am Ende der Kreidezeit gewachsen waren und nach dem Aussterben der Saurier eine neue Fauna auf der Erde begründet haben.



II.    Ableitung der Vertikalen aus der Horizontalen

1.    Farbmaterie wird Licht

In der Lichtinstallation von Sabine Rehlich fällt geübten Kunstbetrachtern auf, dass die Projektionen durch Scans von farbigen Malereien auf Papier hergestellt wurden. Als Projektion der Datensätze erscheint die Farbe entmaterialisiert und verselbständigt sich im Licht bestimmter Frequenzen von ihrem papierenen Träger. Die Überblendtechnik ermöglicht es zudem, die Einzelbilder filmartig zu sequenzieren, wobei sich additive Farbmischungen ergeben, die weitere Möglichkeiten eröffnen, um eine Illusion von Bewegung zu erzeugen. Die in Ausdehnung und Position variierende zentrale Linsenform erzeugt die Illusion eines Sehschlitzes, durch den man in einen Farbraum blicken kann. Mit diesen Ansätzen bewegt man sich noch auf der Horizontalen, weshalb die durch leichte Exzentritäten der linsenförmigen Bildmitte bedingen Abweichungen hervorstechen. In diesen Fällen bewirkt das Zoomen und Überblenden die Illusion des Entschwe- bens der helleren zentralen Torpedoform, die vor dem dunkleren Hintergrund einem UFO gleich abzuheben oder gelegentlich auch nach unten abzutauchen scheint, wodurch die horizontale in eine vertikalen Bewegung umgewandelt wird.

2.    Fliegen und die Überwindung des Blicks nach Vorne

Wie aber ist es zu beurteilen, dass sich die Vertikale aus der Horizontalen ableiten lässt? Besonders die Ausrichtung unseres Gesichtssinnes - wir setzen uns ja hier weitgehend mit bildender Kunst auseinander - bewirkt, dass das Augenmerk der Bewegungs-wahrnehmungen weitgehend horizontal ausgerichtet ist. Die Überwindung der Horizontale erfordert deshalb Anstrengungen, denen z.B. beim Blick nach oben schon physische Grenzen gesetzt sind. Weitere Einschränkungen werden durch eine Erziehung vorgenommen, die den Blick auf die Horizontale lenkt. Der „Hans Guck-in-die-Luft“ wird in der gleichnamigen illustrierten Geschichte von Heinrich Hoffmann als gefährdete Person dahingestellt und wegen seiner Vorliebe für den Blick in die Vertikale diskriminiert.

Warum die Projektion nicht in die Vertikale verlegt worden ist, könnte man fragen. Technisch wäre das umsetzbar, doch erfordert nicht nur das Bergsteigen Kraft, die aufgewendet werden muss, um die Vertikale zu erobern. Auch der Blick in die Vertikale ist anstrengend, weil die vorwiegend horizontale Ausrichtung der Wahrnehmung kompensiert werden muss. Weil der Blick in die Sterne die Rücken- und Halsmuskulatur strapaziert, werden diverse Hilfsmittel eingesetzt, um die Beobachtung horizontal auszurichten. Dazu gehörten konkrete Hilfsmittel, wie das Prisma bei astronomischen Beobachtungen mit dem Fernrohr, das heute durch digitale Techniken mit Monitoren ersetzt wird. Zur Erleichterung der vertikalen Bewegung wurden Fahrstühle erfunden, die das Treppensteigen in Hochhäusern ersetzten. Selbst die Luftfahrt greift mit Start- und -Landebahnen auf Hilfsmittel zur Darstellung der Vertikalen mit Hilfe der horizontalen Bewegung zurück. Lediglich Hubschrauber, bestimmte Flugzeuge und Raketen können senkrecht starten, weshalb sie allerdings unverhältnismäßig viel Energie verbrauchen, weil sie auf den ersten vertikalen Metern auch die dabei verbrauchte überproportional große Menge Treibstoff  bescheunigen müssen.

Den physikalischen Möglichkeiten gegenüber eröffnen künstlerische und kulturelle Mittel andere Möglichkeiten, die physischen Grenzen zu überlisten und sich in die Luft zu erheben. Weitere Möglichkeiten, die Schwerkraft hinter sich zu lassen, bietet die Literatur, die sich immer wieder diesem Thema gewidmet hat und mythologische sowie religiöse

1 Der Traum vom Fliegen, eine Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt in Berlin 03.03. Ð 08.05.2011 www.hkw.de/de/programm/2011/der_traum_vom_fliegen zeigt neben den Pionierleistungen der Luft- und Raumfahrt auch Schamanismus, Trance, Drogen, optische Täuschungen sowie Ekstase als kulturelle Möglichkeiten, sich in die Luft zu erheben.
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