Wurde das Pferd bei einigen Stämmen als Grabbeigabe geheiligt, so ist das Auto, seine Produktion und Zerstörung, heute weiterhin Teil von religiösen oder pseudoreligiösen Handlungen. Diese Feststellung wäre zugleich meine Antwort auf die Frage, was das Bild eines Pferdes zwischen den genannten Bildgegen- ständen in dieser Ausstellung zu suchen hat.

Aus diesen Gründen müsste es eigentlich anstößig, ja pietätlos sein, ein Autowrack darzustellen. Doch wird sein Abbild benötigt, um ein höher bewertetes Tabu zu kompensieren, nämlich das der Abbildung von Opfern aus Unfällen oder Anschlägen. Während die mediale Reproduktion realer zerfetzter Menschen verpönt ist, darf das Bild zerstörter Fahrzeuge in den Medien sehr wohl verbreitet werden. Deshalb erfüllt das Auto auch hier eine symbolische Funktion, denn es dient der von Leichen bereinigten öffentlichen Zurschaustellung von Desastern.

Entscheidend für die konstante visuelle Attraktivität des Autos als Bildthema ist anscheinend sein vielfach besetzbarer Fetischcharakter und sein Kultwert, die in einer scheinbar profanen Gesellschaft religiösen Impulsen eine Projektionsfläche bieten. Schließlich ist das Auto eine zweite Haut, die es zu entmystifizieren gilt, um Nutzen und Fetischfunktion auseinander halten zu können. Im Englischen heißt die Karosserie "Auto-Body" und Arbeiten an der Karosserie werden in einem Body-Shop erledigt. Da dieser Begriff in Deutschland ein Name ist, mit dem eine Kosmetikkette firmieren kann, liegt darin schon ein Hinweis auf die Analogie von Karosserie und Haut. Die individuelle Gestaltung, nicht nur von Autos, wird als custom-made oder customized bezeichnet. Auch diese Bezeichnung ist abgeleitet und zwar von Maßkleidung, die von Fachkräften wie Schneidern individuell angefertigt wird. Beide Zusammenhänge weisen die innige Beziehung zwischen dem Individuum, seiner Körperbedeckung und der öffentlichen Selbstdarstellung nach. Schließlich weist die Herkunft des Wortes aus dem Französischen - sie ist von "costume" für Herrenanzug oder Landestracht abgeleitet - eine weitere Sinnschicht auf. Die englische Bedeutung des Lehnwortes meint den Zoll, wodurch ein 
Zusammenhang zwischen den Prozeduren von Grenzüberschreitungen und der Kleiderkontrolle hergestellt wird. Auf diese Weise wird das Passieren einer Grenzkontrolle mit einer standesgemäßen Kleidung bzw. einer Landestracht verknüpft, was die Kleidung zum persönlichen Attribut mit Ausweisfunktion macht. Diese identitätsstiftende Bedeutung, die heute noch bei Einlasskontrollen in Clubs und Restaurants maßgeblich ist, lässt sich aus den genannten Gründen auch auf das Auto als eine zweite Haut  und Hülle übertragen, weshalb sie für den hier hergestellten Zusammenhang konstitutiv ist.
V. Mobil gegen Mobilität
Wenn Fahrzeuge zerstört werden, trifft es auch ihre Besitzer. Genauer gesagt: sie werden  enthäutet. Wurden ihre Porträts hinter den Scheiben
mit ihren Autos identifiziert, so werden jene mit der Zerstörung des Wagens zumindest zeitweise ebenfalls vernichtet, selbst wenn die Besitzer mit dem Leben davon kommen. Solche Autos können in bestimmten Fällen paradoxerweise als Bildträger ihrer Besitzer angesehen werden, obwohl diese Identifikation grundsätzlich ein Spezialfall, mithin eine Illusion, ist. Jedenfalls sind die Insassen von Fahrzeugen prinzipiell auswechselbar; weshalb ein Auto als Transportmedium auch ein Bildträgermedium ist, das wie andere Medien auch verschiedene Inhalte wiedergibt. Die Abwesenheit von Menschen auf den Zeichnungen Boués impliziert diesen Sachverhalt der anonymisierenden Zerstörung von persönlicher Identität. Gleicher Sachverhalt entspricht dem Schicksal von Zeichnungen, die als Unikate in Zeiten der Medialisierung zurückgedrängt werden. Verunfallt und in Trümmern geht dem Auto jede repräsentative Funktion verloren, und dennoch offenbart es gerade als Relikt eines Unfalls noch einmal seine symbolische Funktion, wenn es als Wrack für ein Schrecknis steht. Wenn dieses Bild dann überall auf der Welt als Mahnmal und Symbol des jeweiligen Desasters Verbreitung findet, bleibt es aber gerade wegen seiner Universalität beliebig und austauschbar, da es kein Gesicht hat. Die Orte der Verbrechen und Katastrophen sind wie ihre jeweiligen Ursachen durch die Vordergründigkeit banaler Trümmer schwer unterscheidbar.

Hiermit wird deutlich, warum die Zerstörung eines Autos kein Sakrileg ist und warum die Geschichte der Autobombe unmittelbar mit der Geschichte des Selbstmordanschlags und seiner Verächtlichkeit gegenüber dem Leben verbunden ist. Der Selbstmordanschlag nutzt die Anonymität des Autos als universelles Mittel massenhafter Mobilität. Daher bleibt der Angreifer unerkannt, selbst wenn der Rest des Fahrzeugs als ein Denkmal in den Medien platziert wird und Attentäter und Opfer mehr als ihre Haut verlieren. Ein zerfetztes Autowrack kann daher in seiner Universalität als ein genereller Angriff gegen die ungebremste Mobilität und die damit verbundene Unterwerfung von Menschen unter das Regime von Maschinen gelesen werden. Peter Boué macht diesen Aspekt der Urbanität sichtbar und darin sehe ich die Aktualität seiner Zeichnungen.
Als Science-Fiction-Szenario gesehen, sind schon alle Opfer, doch stehen Kameras nicht allein auf jedem Platz, solange noch jemand die Explosionen registriert, sei es ein Beamter im Kontrollraum des Innenministeriums oder ein zeichnender Künstler in seinem Studio.
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Vernissage
Gefördert von der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirksamt Wandsbek
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