Mit Sprit zum Spirit - Eröffnungsrede von Dr. Thomas Piesbergen zur Ausstellung „Klaus Becker - Das Diamantene Fahrzeug“

Das diesjährige Jahresprogramm des EINSTELLUNGSRAUM lautet „Sprit und Spirit“. Beide Worte sind abgeleitet aus dem lateinischen Verb „spirare“, was „hauchen“ oder „atmen“ bedeutet, und beide sind vielfach eng miteinander verknüpft. Dennoch führen die verschiedenen Bedeutungen im heutigen Sprachgebrauch in stark voneinander abweichende Zusammenhänge, worin sich schließlich eine Eigenart des westlichen Denkens enthüllt.

Zunächst entwickelte sich aus dem Verb „spirare“ der Substantiv „Spiritus“, also der Lebensgeist. Diese Übertragung des Atems auf den Geist geht allerdings auf ältere Wurzeln zurück. In der Tora tauchen gleich drei bedeutungsgleiche Wörter auf: „ru´ach“, „neschama“ und „nefesch“. Alle bedeuten ursprünglich „Atem“ und alle bezeichnen die sog. Vitalseele oder Körperseele. Entsprechungen zu „ru´ach“ finden wir im Ugaritischen „rh“, das „Wind“ oder „Duft“ bedeutet, im Phönizischen steht das gleiche Wort für „Geist“.
Das hebräische „nefesch“ wiederum geht auf das akkadische „napaschu“ zurück, das „Aufatmen“ und „weit werden“ bedeutet.
Der Zusammenhang zu dem Lebensatem, mit dem Gott den aus Erde geformten Menschen belebte, in dem er ihm den Geist durch die Nase einblies, liegt in dem genannten levantinisch-altorientalischen Kontext auf der Hand, und setzte sich so von den altorientalischen Sprachen über das Griechische „pneuma“ und Lateinische „spiritus“ bis in unsere modernen Sprachen fort.

Nachdem sich im 15. Jhd. die Technik des Destillierens von Alkohol in Europa verbreitet hatte, wurde im 16. Jhd. die Bedeutung des Begriffs Spiritus auf den Weingeist erweitert, die „Körperseele“ des Weines, die, einmal extrahiert, dessen Essenz darstellt. Erst nach dieser begrifflichen Verknüpfung trat neben die spirituelle Bedeutung des Wortes die profane, und neben den Spiritus Sanktus trat schließlich der Brennspiritus bzw. verkürzt der Sprit, ob in der Schnapsflasche oder schließlich im Tank.
Hier beginnt sich nun die bereits erwähnte Eigenheit der westlichen Denkungsart zu zeigen. Denn solange der Geist als Alkohol in einem kirchlichen Kontext erscheint, z.B. als Messwein oder als von Mönchen getragene Brautradition, wird er geduldet oder sogar als geheiligt wahrgenommen. Sobald er aber nur in profanem Zusammenhang genossen wird, wird ihm schnell zugeschrieben, ein Machwerk des Teufels zu sein, wie es in vielen religiösen Gemeinschaften noch immer üblich ist.
Schließlich haben wir in dem Sprit als Treibstoff für motorgetriebene Fahrzeuge eine endgültig geistlose Profanisierung vorliegen: Der Fetisch des Benzinmotors und das Erdöl als Blut einer durch und durch materialistischen Weltordnung.

Stellen wir also Sprit und Spirit in der westlichen Denktradition heute nebeneinander, sehen wir eine Opposition von Geist und Spiritualität auf der einen Seite, auf der anderen die profane Materie und die von Pragmatismus getragene Wissenschaft.

Diese westliche Trennung der Welt in zwei Sphären, die auf gar keinen Fall zu verwechseln ist mit der östlichen Yin und Yang-Dualität, geht nach Joseph Campbell auf eine Vereinnahmung der alten, aus dem Tropengürtel stammenden organisch-vegetabilen Mythen durch die heroischen Mythen der indo-arischen Jäger aus den Steppen zurück.
Er schreibt: „In den älteren Mythen und Riten der Mutter waren die hellen und dunkleren Aspekte des bunt gemischten Lebensganzen gleichermaßen und gemeinsam geehrt worden, wohingegen in den späteren, männlich bestimmten, patriarchalen Mythen alles, was gut und edel ist, den neuen, heroischen Herrengöttern zugesprochen wurde, womit den ursprünglichen Naturmächten nur die Dunkelheit als Wesensmerkmal übrigblieb - und die wurde jetzt auch noch moralisch negativ bewertet.“

Diese grundlegende, patriarchale Trennung von Hell und Dunkel, von Gut und Böse fand im Osten jedoch nicht statt. Als illustrierendes Schlaglicht sei die indische Göttin Kali genannt, die sowohl die große, gebährende Muttergottheit ist, wie auch die mit Leichenteilen geschmückte Verschlingerin. Sie ist Shakti, die Gemahlin, und Kalima, die Mutter des Shiva, und gemeinsam mit ihm gebar sie das Universum, so wie sie auch alles, was darin vergeht, wieder in sich aufnehmen wird.

Die 02. Ausstellung zum Jahresprogramm SPRIT  und SPIRIT des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2020
Präsentation
Vernissage
back
next
Gefördert von der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg und Bezirk Wandsbek