Hier wären verschiedene Umweltbelastungen zu nennen, wie z.B. die Belastung durch Schadstoffe, die sich in nahezu allem befinden, einschließlich unserer Ernährung und natürlich die Ernährung selbst.  In jüngster Zeit wurde auch der Lärm, vor allem subfrequenter Lärm und seine Wirkungen auf Körper und Psyche verstärkt untersucht. Alle diese Aspekte, von deren Wirken wir meist nichts wahrnehmen, haben eine z.T. erschreckend heftige und determinie- rende Wirkung auf unser Verhalten, die wir, wenn überhaupt, vor allem an anderen wahr- nehmen, an uns selbst selten, gar nicht oder zu spät.

Doch neben diesen inneren und äußeren Bedingungen, die unseren freien Willen in Frage stellen, gibt es noch ein Tertium Quid: unseren kulturellen blinden Fleck, der uns überhaupt ermöglicht, Unterscheidungen zu treffen, Dinge zu benennen und zu erkennen.

Er besteht aus einem Set kultureller Strukturen, die vollständig internalisiert sind, weshalb wir sie nicht wahrnehmen. Es sind habituelle Muster, die die Art determinieren, wie wir Menschen und Dinge wahrnehmen und beurteilen. Sie sind bedeutender Teil unserer Identität, bestimmen den Ort, von dem aus wir die Welt betrachten, weshalb wir uns nicht vorstellen können, daß sie nur
eine zeitlich und örtlich bedingte Gültigkeit haben.

Sie kommen nur zu Bewußtsein durch einen massiven Kulturschock, der uns ermöglicht, unsere Perspektive auf die uns umgebende Welt als nur eine von vielen möglichen Perspektiven zu erfahren. In der Regel führt diese Erfahrung zu einer vorübergehenden, oft durchaus heftigen Desorientierung und Erschütterung der individuellen Identität, weshalb sie oft stark angstbehaftet ist. Und selbst wenn sie bestenfalls zu einer seelischen Reifung führt, kann uns diese Erfahrung der Relativität unseres Konzepts der Wirklichkeit niemals ganz frei machen von dem Umstand, daß da immer ein blinder Fleck sein muß, der uns ermöglicht zu sehen.

Wie es scheint, ist also der Mensch dazu verdammt, in einer gegebenen Wirklichkeit zu leben, die ihm einen nur sehr bescheidenen freien Handlungsspielraum läßt. Und wenn er es wagt, eine der bedrohlichen Säulen der Wirklichkeit zu stürzen, läuft er durchaus Gefahr, unter ihnen begraben zu werden. Es stellt sich die Frage, ob es angesichts dieser respekteinflößenden und zunächst weitgehend unwandelbaren Gegebenheiten unserer
psychischen Bedinghtheit und des gesellschaftlichen Habitats es doch noch sinnvoll und möglich ist, sich nicht defätistisch in die Bedingungen zu fügen.

Wenden wir uns an dieser Stelle der Arbeit Angela Anzis zu.

Wir stehen zwischen schwarzen, wuchtigen säulenartigen Objekten, die wie antike Tempelsäulen aus einzelnen Säulentrommeln zusammengesetzt sind. Sie überragen uns. Die auskragenden, kapitelartigen Elemente scheinen ihr Gewicht im Raum spürbar zu machen. Die schwarze, mattglänzende Oberfläche verstärkt den Eindruck ihrer Masse und erweckt gleichzeitig unangenehme Assoziationen an Teer oder Öl.
Sie erscheinen unverrückbar, sakral und halten den Raum besetzt, zwingen den Menschen, der ihn betritt, ihnen auszuweichen. Sie geben die Bewegungsmuster vor, strukturieren den Raum.

In den obersten Segmenten befinden sich jeweils Subwoover, also tieftönende Lautsprecher, die Sinustöne von sich geben, die sich am Rande des hörbaren Spektrums befinden und eher fühlbar als hörbar sind. Es ist inzwischen bekannt, daß solche Töne im unteren Frequenzbereich z.T. massive körperliche Wirkungen haben können. Die Effekte reichen, bei entsprechender Lautstärke, von Übelkeit und Schwindel bis hin zu Sehstörungen und Panikat-tacken. Der Raum wird also mit etwas geflutet, das unsichtbar und immateriell ist und dennoch eine unmittelbare und starke Wirkung auf den menschlichen Körper hat.

Diese Installation von Objekten und Tönen kann gelesen werden als eine Metapher für die vorher genannten dunklen Mächte, die unsere Handlungen determinieren und trotz ihrer Immaterialität eine massive und unmittelbare körperliche Wirkung zeitigen können. Eine Durchdringung findet statt.

An diesem Punkt könnte man die Arbeit für in sich geschlossen erklären, doch Angela Anzi macht hier nicht halt.

Die Elemente der Installation in ihrer Massivität und einschüchternden Wirkung bleiben unverrückbar, doch die Künstlerin agiert in dieser Konstellation der Objekte. Mit ephemeren Materialien macht sie die immateriellen Phänomene sichtbar und bringt dadurch ihre physische Wirkung zu Bewußtsein. Denn im Gegensatz zu den wuchtigen Säulen, die immun gegen die körperlichen Effekte des Schalls zu sein scheinen, beginnen Papiere, Folien und andere leichte Materialien zu schwingen, zu zittern, zu rascheln und verweisen so auf die materiellen Aspekte des prinzipiell immateriellen Schalls.
Performance 04.11.2015 (Details)
Vernissage
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