Vom Walten dunkler Mächte - Eröffnungsrede zur Ausstellung: Angela Anzi "Hilfestellung an Objekten 2" von Dr. Thomas Piesbergen

Die Ausstellung "Hilfestellung an Objekten 2" fand statt im Rahmen einer Ausstellungsreihe des Einstellungsraum e.V. zum Jahresthema "Wo Geräusch auf der Gassen ist, da gehe fürbaß".


Der Ratschlag, den Matthias Claudius 1799 seinem Sohn gab, nämlich die Orte, wo Geräusch auf der Gassen ist, zu meiden, war dem väterlichen Bedürfnis geschuldet, den Sohn vor schädlichen Einflüssen zu schützen: vor politischen Schwadroneuren und Agitatoren, vor dem politisierenden Mob. Gleichzeitig war es ein Hinweis darauf, sich seiner eigenen Handlungs- weise bewußt zu werden, auf die innere Stimme zu hören, sich den freien Willen zu bewahren und ihn in autarken Entscheidungen zur Geltung kommen zu lassen. Das war 1799.


Der Glaube an den freien Willen, der in der Art, wie wir ihn definieren, vor allem ein Produkt der Aufklärung ist, wurde erstmals und nachhaltig erschüttert durch die Arbeiten Sigmund Freuds, der uns den Abgrund des Unterbewußten öffnete und den freien Willen zunächst zu einer Marionette frühkindlicher Erfahrungen und den daraus abgeleiteten Routinen machte.
Doch die Psychoanalyse schaffte den freien Willen nicht gänzlich ab. Es blieb noch immer die Möglichkeit, die uns bestimmenden Muster des Unterbewußten durch eine Analyse ans Licht zu holen und sie zu durchdringen, um uns in unseren Handlungen wieder zu befreien.


Heute, im frühen 21. Jahrhundert, müssen wir uns widerstrebend der Erkenntnis der kognitiven Neurowissenschaften beugen, daß uns auch die Psychoanalyse den freien Willen nicht zurück geben kann, da es so etwas wie einen freien Willen nach derzeitigen Kenntnisstand objektiv nicht gibt, daß er eine Konstruktion unseres Bewußtseins ist, mit der wir versuchen, unsere bereits getroffenen Entscheidungen zu rechtfertigen, indem wir ihnen eine subjektiv begründete Ursache zuschreiben.
Unser Ich, das wir wider besseres Wissen im Alltag noch immer frei wähnen, scheint tatsächlich zu einem Spielball mehr oder minder bewußt gemachter dunkler Kräfte geworden zu sein, aber keinesfalls mehr der potenzielle Herr im Haus, der seit den Tagen der Aufklärung mit Hilfe der Vernunft für Ordnung sorgen konnte.

Weisen in der inneren Welt das Unterbewußte und das Clusterverhalten der Dendrone dem freien Willen seine Grenzen auf, so tun es in der Außenwelt andere, viel konkretere Dinge, denen wir unseren Willen unterordnen müssen. Zunächst wären die Grenzen unserer körperlichen Bedingtheit zu nennen: Wir können nicht durch Wände gehen, da unser Körper leider nicht feinstofflich genug ist. Genauso wenig können wir eine stark befahrene Autobahn überqueren, da unser Körper nicht robust genug gebaut ist, um es zu überleben.

Weniger unmittelbar, aber nicht weniger wirkmächtig, sind die gesellschaftlichen Regeln, Zwänge und Machthierarchien, denen wir uns unablässig beugen müssen, die uns unseren sozialen und faktischen Ort in der Gesellschaft zuweisen.

Diese beiden Bereiche und ihre einschränkenden Mechanismen scheinen offensichtlich zu sein und unsere Vernunft gibt unserem Handeln klare Direktiven. Wir wissen, was wir tun dürfen und was nicht; wo wir uns aufhalten dürfen und wo nicht; was uns gehört und was nicht.

Wenn wir diese Mechanismen nicht beachten und ihre Grenzen überschreiten sind die Konsequenzen eine zunehmend körperlicher werdende Einschränkung unseres Handeln bis hin zum völligen Stillstand; im Falle der körperlichen Grenzen bedeutet dieser Stillstand den Tod, im Falle gesellschaftlicher, juristisch definierter Grenzen die Isolationshaft.

Doch auch auf diesen Ebenen gibt es Mechanismen, in erster Linie auf der körperlichen Ebene, die im Verborgenen auf uns einwirken und uns Stimmungen aufzwingen oder uns gewisser Fähigkeiten berauben und uns auf diesem Wege in einer freien Willensbildung oder -ausübung behindern.

Performance 04.11.2015 (Details)
Vernissage
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