Für die Gesamtwirkung des Videos ist die intensive Musik, eine Art Elektropop, von enormer Bedeutung, da sie die heterogenen, stets wechselnden Bilder atmosphärisch zusammenbindet. Komponiert wurde sie von Jun Mizumachi und Fred Skymanski, die Annebarbe Kau während ihres Studienaufenthalts in New York 1981/82 kennenlernte. Der schnelle, rhythmisch vitale, von repetitiven Mustern geprägte Sound steigert noch die Wirkung der meist schnellen, harten Schnitten des Videos. Die immerzu wiederkehrenden, von einer elektronisch verfremdeten Frauenstimme geäußerten Worte lauten: „I don’t think so. I’m not sure“. Auch dies passt zu der Videoarbeit, die keine Thesen vorbringt, keine Behauptungen aufstellt, sondern in einem fragenden, assoziativen Modus Schritte in ein unerforschtes künstlerisches Gelände unternimmt.

III.
Die zweite Arbeit, die Annebarbe Kau im Einstellungsraum präsentiert, kommt dagegen ganz still daher. Es handelt sich um sechs Fotografien ohne Titel von 2015/16, die Ausschnitte unterschiedlicher, aber ähnlich gestalteter Innenräume zeigen. Man sieht weder Türen noch Fenster, der Boden ist jeweils mit einem Teppichboden in dezentem Rotbraun ausgelegt, auf dem wiederum ein im gleichen Farbton gehaltener Teppich mit ornamentierten Rand liegt. An den weißen Wänden hängen Bilderrahmen unterschiedlicher Größe und Machart, in denen ausschließlich monochrome Bildflächen in unterschiedlichen Farben zu sehen sind. Auffällig sind die ungewöhnlich hohen Kerzenleuchter mit schwarzem oder metallenem Schaft, die eine ernste, feierliche oder rituelle Stimmung erzeugen, eine Feierlichkeit, die durch einige offenbar durch Materialermüdung aus dem Lot geratene Leuchter leicht ironisch konterkariert wird.

Eros und Thanatos, Liebe und Tod, sind – das weiß man nicht erst seit Freud – zwei Grundmotive des menschlichen Lebens und damit auch der Kunst. Das Video „Château d'eau et femme célibataire“ ist, wie indirekt und diskret auch immer, von erotischen Untertönen durchzogen. Die Fotografien hingegen sprechen vom Tod. Annebarbe Kau ist die Jahreskünstlerin 2015/16 im Bestattungsunternehmen Pütz-Roth, das in Bergisch Gladbach
beheimatet ist. Dort lädt man seit 2005 Künstler dazu ein, auf die unterschiedlichen Funktionsräume und das weitläufige Friedhofsgelände mit künstlerischen Interventionen zu reagieren. Die Fotografien, die im Einstellungsraum zu sehen sind, zeigen Detailaufnahmen einer Installation, die Kau in den Abschiedsräumen des Instituts eingerichtet hat. In diesen mit dezenter Wohnlichkeit eingerichteten Zimmern wird den Angehörigen die Gelegenheit geboten, in aller Ruhe Abschied von ihren Verstorbenen zu nehmen. Kau hat die Räume bewusst nicht umgestaltet, sondern sich mit einem subtilen Eingriff in das Bestehende eingeklinkt. Sie bat die Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens, ihr leihweise eigene Bilderrahmen zur Verfügung zu stellen. In diese hat sie farbige, teils glatte, teils strukturierte Papiere platziert und in den Abschiedsräumen aufgehängt. Die unterschiedlichen Farben erzeugen entsprechend vielfältige Stimmungswerte. Die gerahmten Papiere sollen den Trauernden als Projektionsflächen für Gefühle und Erinnerungen dienen, was ganz intuitiv geschehen kann, ohne dass die Installation überhaupt als Kunstwerk wahrgenommen wird.

Worin besteht nun der Bezug der Fotografien zum Thema „speichern – akkumulieren“? Auch wenn es viel weniger offensichtlich ist als bei dem Video, das die Frage des Speicherns motivisch (Wasserspeicher) und medial (Speicherwechsel durch Digitalisierung) aufgreift, bleibt doch auch die Fotoserie nah am Thema. Das Speichermedium ist hier der Bilderrahmen. Rahmen sind Speicher, weil sie ihren Inhalt abgrenzen, schützen und über die Zeit aufbewahren. Was in ihnen vornehmlich gespeichert wird, ist ein immaterielles Gut: Erinnerung. Bilderrahmen dienen meist zum Aufbewahren von Erinnerungsfotos. In der Installation in Bergisch Gladbach dienten sie zur Projektion der Erinnerungen der Trauernden. Die Fotografien wiederum bewahren die Erinnerung an diese temporäre Installation. In Hamburg werden sie, in DIN A4-Größe abgezogen, in Rahmen ausgestellt, die dem Einstellungsraum gehören und interessanterweise einst Arbeiten von Hanne Darboven enthielten, die auf der Kasseler Documenta ausgestellt wurden. So kommt in der Fotoserie von Annebarbe Kau über das Trägermedium Bilderrahmen und mit Blick auf den ultimativen Zeithorizont des Todes die zeitliche Struktur des Speicherns und Erinnerns gleich auf mehreren Ebenen zur Anschauung.
Die 02. Ausstellung im Jahresprogramm SPEICHERN | AKKUMULIEREN des EINSTELLUNGSRAUM e.V. 2016
Installation
Vernissage
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