Wer heute ein Video aus den 80er-Jahren
betrachtet, sieht nie allein dessen Inhalt, sondern
unvermeidlich auch das technologisch überholte Medium
selbst, inklusive Interlace-Streifen, Kammeffekt,
Bildstörungen, Flimmern und Farbfehlern. Diese Defekte
hätte man bei der Digitalisierung bereinigen können,
freilich zum Preis eines unvermeidlichen
Informationsverlusts. Es ist eine ästhetische und somit
künstlerische Entscheidung, die Alterungsspuren sichtbar
zu lassen und damit die Historizität des Mediums zu
bewahren. Das Material des ersten der drei Bänder von „Le Château d'eau et la femme célibataire“ hat die Künstlerin während eines Stipendiums des deutsch-französischen Jugendwerkes in der Bretagne aufgenommen. Château d’eau – in wörtlicher Übersetzung leicht als „Wasserschloss“ misszuverstehen – heißt Wasserturm, eine Baugattung, die mittlerweile selbst historisch geworden ist. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden überall in Europa Wassertürme gebaut, um die umliegenden Ortschaften unter Ausnutzung des Prinzips der kommunizierenden Röhren mit fließendem Wasser zu versorgen. In der Bretagne, einem ländlichen, dünn besiedelten Gebiet, zeugen zahlreiche Wassertürme, die überwiegend nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 70er-Jahre hinein gebaut wurden, auf den verspäteten Modernisierungsschub in dieser Region. Insgesamt etwa 16.000 Wassertürme soll es in Frankreich geben, in Deutschland zwischen 2000 und 3000. Mittlerweile sind nur die wenigsten noch in Betrieb. Aus Gründen der Wasserhygiene und der geringeren Betriebskosten werden heute Erdbehälter als Wasserspeicher bevorzugt. Eine geradezu ikonische künstlerische Darstellungsform haben Wassertürme bei Bernd und Hilla Becher gefunden, die sie, wie andere industrielle Zweckbauten auch, in umfangreichen Fotoserien festgehalten haben. Im Unterschied zu den objektiv-dokumentarischen Fotos der Bechers werden die châteaux d'eau bei Annebarbe Kau ganz subjektiv als Gebilde wahrgenommen, von denen eine merkwürdige Faszination ausgeht. Aus stets wechselnden Perspektiven werden sie visuell erforscht: im Nahblick, aus der Ferne, als Solitäre und im Landschaftszusammenhang, von außen und innen, von unten und oben, als reine Form und in ihrer Funktion als Wasserzwischenspeicher. Im dritten Videoband wird das Thema Wasser, gewissermaßen am anderen Ende der Wasserversorgungskette, wieder aufgegriffen. In mehreren Einstellungen ist ein Wasserglas zu sehen, in dem sich, sprudelnd und schäumend, eine Brausetablette auflöst. |
Wenn man sich den in der Bretagne
entstandenen Teil des Videos genau anschaut, bemerkt man
eine unterschwellige Sexualisierung des
Wasserturm-Motivs. Bezeichnenderweise zeigt schon die
erste Bildeinstellung eine Kritzelei an der Außenwand
eines der Türme: „Rose est amoureuse de...“. Der Name
dessen, in den diese Rose verliebt angeblich verliebt
ist soll, wurde mehrfach durchgestrichen und unlesbar
gemacht. Die in der Landschaft aufragenden
Wasserspeicher, die Röhren in ihrem Inneren, an denen
der Kamerablick auf- und abgleitet, die Wasserhähne und
-ventile, das Rohr, aus dem unvermittelt ein kräftiger
Wasserstrahl hervorschießt, das Verbindungsstück
zwischen einem Turm und einem angrenzenden Gebäude – all
das erzeugt in der Summe der schnell wechselnden Bilder
einen sexuell aufgeladenen Subtext. Die vertikal
aufgerichteten Betontürme erscheinen als riesenhafte
Nachfahren der prähistorischen bretonischen Menhire, die
im Video mehrfach auftauchen und die – zumindest von
einigen Spezialisten – als Zeugnisse eines archaischen
Phalluskults gedeutet werden. Wie zur Bestätigung dieser
Lesart tauchen im dritten Videoband auf einem
Computermonitor Sätze in Französisch auf, in denen die
bretonische Sprache als „un symbole de virilité“
propagiert wird. Die Zitate stammen aus dem Buch „La
Bretagne“, das der bretonische Nationalist Yann Bouëssel
du Bourg 1982 veröffentlicht hat. Dort spricht der Autor
auch vom „phallischen Sinn“ der Menhire und nennt sie
„Symbole der Männlichkeit, der Zeugung und Stärke“.
Einen Hinweis auf den erotischen Subtext des Videos gibt allerdings auch schon sein Titel: „Château d’eau et femme célibataire". Die „zölibatäre“ Frau, die Junggesellin, spielt unverkennbar auf Marcel Duchamps berühmtes Werk „La Mariée mise à nu par ses célibataires, même“ von 1915/23 an. Dessen sexuelle und erotische Implikationen sind bekannt und von der Duchamp-Forschung bis in die kleinsten Winkel hinein interpretatorisch ausgeleuchtet. Der starren, kantigen, „phallischen“ Form der Wassertürme stellt die Künstlerin vor allem im zweiten Videoband eine weiche, fließende, formwandlerische, unzweifelhaft weiblich konnotierte Körperlichkeit gegenüber. Man sieht in extremer Nahaufnahme immer wieder eine Hand, die sich öffnet und schließt, Finger, die sich rhythmisch bewegen, Schatten werfen, eine Mulde, Öffnungen formen, die für Momente unverkennbar an das weibliche Geschlecht erinnern. |
Die 02.
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